Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Onkel und den anderen alten Nazis als Halbstarker und Rowdy hatte beschimpfen lassen müssen, der noch vor fünf Jahren die wildesten, großartigsten Partys veranstaltet hatte, zu einem Vorstadtspießer – dabei war er der Rebell hier. Leider war Phyllis wie die Typen in dieser Wohnung. Autos waren ihr egal; ihre Freunde teilten sich einen alten VW-Bus, der so klang und so aussah wie eine verrostete Konservendose, sie mochten nichts von dem, was ihm wichtig war, und er war trotzdem, auf eine ärgerliche, unklare Art und Weise, verliebt in Phyllis, und ihr Groll gegen all die Dinge, die ihm einmal begehrenswert erschienen waren, fraß sich in seinen Lebensentwurf hinein. Es befiel ihn wie ein Virus, der an sein vergangenes, offenbar für nur geringfügig jüngere Leute schon nicht mehr dekodierbares Rebellentum andockte; er begann ernsthaft darüber nachzudenken, warum er hochdotierte Vorträge über neuartige intranasale Operationstechniken hielt und einen Mercedes fuhr, dessen Inspektion so viel Geld kostete, wie Phyllis in drei Monaten ausgab. Er hatte sich immer als Rebell empfunden. Die Lederjacken, die Musik, die Anzeigen wegen Ruhestörung, die strenge, furchtlose Art, mit der er auf Kongressen bestehende Ansichten zu gängigen Operationsmethoden niederbügelte, auf all das war er stolz gewesen. Er war John Wayne, er war furchtloser als die anderen – aber vielleicht war das auch schonGeschichte. Vielleicht hatten Phyllis’ Freunde recht. Sie waren, wie er einmal gewesen war; er hatte sich verändert. Genoss er es nicht seit ein paar Jahren, bei Nachbarn und Kollegen angesehen und beliebt zu sein, die warme, muffige Eintracht des Winkels, in dem er sich niedergelassen hatte, den Blick auf das friedliche Panorama des Dorfs, über dem die Sonne langsam unterging …
So konnte es nicht weitergehen.
In einem Anfall von Nervosität, Selbstmitleid und Stolz dachte er darüber nach, wie es wäre, in einer Klinik in Bangladesch zu arbeiten, wobei er vor allem ein Bild vor sich sah, das wie ein klemmendes Dia in seinem Kopf einrastete und alle weiteren Vorstellungen behinderte – wie er im verwilderten Garten der Hütte, die sie bewohnen würden, mittags im Schatten einer gigantischen Bougainvillea im Gras liegt, wie ein paar Wolken über den Himmel rasen und schließlich nicht mehr zu sehen sind, weil Phyllis sich über ihn beugt.
Er sah sie eine Woche lang nicht, obwohl er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Seine Frau war für ein paar Tage nach Dortmund gereist, der Teufel weiß, sagt er später, was sie dort tat, jedenfalls war Hancock auch seit Tagen nicht in seiner Praxis erreichbar. Vielleicht ein Zufall. Einmal rief sie von einem Bahnhof aus an, beklagte sich über einen Sitznachbarn und schrie schrille und unverständliche Dinge in den Hörer, und ihre Stimme vermischte sich mit dem Heulen eines vorbeifahrenden Zuges. Vermutlich hatte sie schon etwas getrunken.
Es war Juli geworden und sehr warm; die Luft flimmerte über dem Waldrand, und das Korn stand hoch auf dem Feld. Wenn es abends dunkel wurde, sah er am Ende der Felder das Dorf und dahinter das Leuchten der fernen Stadt, das schimmernde Grün der Straßenbeleuchtungen, das warme Gelb der Fenster und die Flammen über den Schornsteinen des Industriegebiets am Fluss.
Er versuchte, Phyllis zu vergessen. Er rauchte zu viele Zigaretten, griff nach dem Telefonhörer, legte wieder auf, aß Pralinenschachteln leer, trank sehr viel Bier, übergab sich, zog sich ein neues weißes Hemd an,schaltete den Fernseher ein, sah das lachende, grimmig verzerrte Gesicht von Heidi Kabel – machte den Fernseher wieder aus und band sich eine Krawatte um. Mit der Krawatte fühlte er sich deutlich besser. Oberwald kam vorbei, er hatte ein paar medizinische Fachzeitschriften unter dem Arm, die er sich ausgeliehen hatte, und erzählte ihm irgendetwas von seiner Arbeit, Bellmann konnte sich hinterher nicht mehr erinnern, was es gewesen war; dann ging Oberwald zu seinem Auto, öffnete den Kofferraum und holte einen Fisch, den er geangelt hatte, aus einer Plastikwanne; Bellmann legte ihn vorsichtig in den Ausguss der Spüle.
Als er Phyllis später am Abend in einer Bar in der Stadt traf, trug sie eine weite Hose und einen ponchoartigen Umgang. Sie sah müde aus und anders, als er sie in Erinnerung hatte. Sie tranken ein paar Bier; draußen war es immer noch warm, der Mercedes parkte am Straßenrand, das Verdeck hatte er heruntergeklappt.
Phyllis erzählte
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