Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
eine Zigarette. Bellmann mochte ihn gern, er war in etwa so alt wie er und kannte sich mit amerikanischer Musik aus. Sie saßen dann, während das Postfahrrad mit den überfüllten Kunstledertaschen am Garagentor lehnte, auf der Terrasse oder im Atombunker an der Westernbar, Bellmann hielt ihm die Zigarettenschachtel hin, und sie redeten über Schallplatten, die sie sich gekauft hatten; dieser Mann, sagt Bellmann, war ein guter Freund. Einmal tauchte der Postbote morgens mit seinem Fahrrad auf, als Bellmann, der an diesem Tag freigenommen hatte, gerade mit ein paar Gästen die letzten Reste aus den Flaschen in die Gläser goß und Schwarzbrote mit Rollmops und Mayonnaise servierte; sie hatten die Nacht durchgefeiert und bestaunten jetzt den frischgewaschenen dünnen Mann mit der Umhängetasche wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Bellmann nötigte ihn, einen Wodka mitzutrinken. Sie legten irgendetwas von Eddie Cochran auf und tranken weiter, und jedes Mal, wenn der Postbote mit einer unsicheren Handbewegung auf die Ledertasche deutete, aus der die nach Straßen sortierten Briefe vorwurfsvoll herausragten, drückte ihn irgendeine schnapsschwere Hand zurück in die Kissen, und eine andere reichte ihm ein gut gefülltes kleines Glas.
Gegen zehn Uhr war auch der Postbote vollkommen betrunken, und weil er beim Versuch, sein Fahrrad zu besteigen, zweimal umfiel, wurde der Mercedes aus der Garage gefahren, was erstaunlicherweise gelang, drei Männer und eine Frau bestiegen das Auto, Bellmann steuerte angemessen langsam die Hauptstraße entlang, und an jeder Kreuzung schleuderte der Postbote aus dem fahrenden Wagen einPaket mit Briefen in den erstbesten Vorgarten. Es war Mittag, als Ingrid und er ins Bett gingen, und Abend, als sie aufstanden.
Manchmal verbrachte Bellmann ganze Tage in seinem Bunker; wenn er wieder auftauchte, erschien ihm die draußen im Tageslicht dörrende Welt seltsam und absurd.
Dann kam Phyllis zurück. Er traf sie zufällig auf dem Parkplatz vor der Abteilung für Innere Medizin, sie war mit einem Typen aus der HNO-Abteilung auf dem Weg in die Kantine, einem dünnen, geschmeidig gehenden Menschen mit wolligem Haar, der leise und sehr schnell redete und allgemein als gutaussehend galt. Bellmann mochte ihn nicht; er hatte sich einmal mit ihm auf dem Flur angebrüllt, vor den älteren Kollegen, die die Streitenden auseinanderbringen mussten, es ging um eine Ausdehnung der HNO-Kompetenzen in den Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Bellmann hatte darauf bestanden, dass die gesamte Traumatologie in seiner Abteilung verblieb. Seither redete der Kollege nicht mehr mit ihm und bog hektisch in irgendeinen Raum ab, wenn er ihn sah. Wenn eine Kollision nicht zu vermeiden war, grüßte er Bellmann scheinheilig, wobei er die Augenbrauen kurz anhob und den Namen Bellmann wie etwas Absonderliches hervorstieß, dessen bloße Aussprache ihn einige Überwindung kostete. Bellmann wusste, dass der Mann versuchte, die Mittel für plastische Gesichtschirurgie unter die Kontrolle seiner Abteilung zu bekommen, zumindest die Nasen und die Ohren, ein klassischer Fall von Selbstüberschätzung, die man bei den HNO-Leuten oft antraf und die ihn als ausgebildeten Chirurgen verbitterte. Aber der Typ kannte offenbar keine Selbstzweifel; er fuhrwerkte mit seinen penibel manikürten Händen in der Luft herum und redete auf Phyllis ein, die ärgerlicherweise herzlich lachte und ihn zu weiteren unansehnlichen Kapriolen ermutigte.
Phyllis war sehr dünn, sie hatte große, dunkle Augen und trug ihre Sonnenbrille ins Haar geschoben; die Bäume spiegelten sich in den schwarzen Gläsern und überschlugen sich, wenn sie den Kopf drehte, ein Bild, das er lange nicht vergessen konnte.
Die nächsten Nachmittage verbrachte er damit, in seinem Mercedes vor dem Krankenhaus zu warten, in der Hoffnung, sie würde aus dem Haus kommen, um dann wie zufällig vorzufahren und ihr anzubieten, sie irgendwohin zu bringen. Als sie schließlich auftauchte, kam sie nicht allein, sondern zusammen mit einer dicken Anästhesistin. Bellmann steuerte den Wagen so zufällig wie möglich um die Kurve, bremste scharf und fragte, ob jemand mitfahren wolle. Die Dicke stieg erfreut ein.
Trotzdem gelang es Bellmann am kommenden Tag, sich mit Phyllis zu verabreden, was ihn mit einer Mischung aus Euphorie, schlechtem Gewissen, Unruhe und Sentimentalität erfüllte. Er kaufte seiner Frau einen gigantischen Blumenstrauß, besorgte im
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