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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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wurden.
    Sein Vater, sagt er, war Bergarbeiter. Er saß nach Feierabend mit einer braunen Bierflasche auf einer Bank, schaute durch rußige Wolken in eine matte Sonne und tätschelte ihm den Kopf. Er starb als einer der ersten. Er wollte nicht in den Krieg, sagte er.
    Sie ist anders, als er sich Amerika vorgestellt hat. Sie ist die erste Amerikanerin, die er kennenlernt, und sie findet alles scheußlich, was er bisher für Amerika hielt. Sie demonstriert gegen Vietnam und raucht Hasch und findet die traurigen kleinen Bungalows mit der Doppelgarage und dem Swimmingpool und der amerikanischen Fahne und dem rauchenden Barbecue-Grill unmöglich. Sie hasst Dean Martin (Macho), Elvis (dick) und Dion DiMucci (Kitsch) – sie ahnt nicht, dass er von genau diesem Amerika immer geträumt hat. Das Chuckberryland. Die Bebopelula nation. Detroit, Memphis, die Motoren, die Bässe: die Rockstaaten von Amerika, James Dean, Lederjacken, Benzin. Mag sie nicht. Nicht einmal Coca-Cola mag sie; sie trinkt nur Tee.
     
    Sie hat noch keine größeren Pleiten erlebt in ihrem Leben. Sie ist neugierig auf alles. Wenn sie redet, verwandelt ihr Gesicht sich in ein einziges Funkeln, als ob unter ihrer Haut winzige elektrische Explosionen stattfänden. Dr. Janischek aus der Radiologie, dem sie zu dieser Zeit ebenfalls begegnete, sagt später, sie habe eine seltsame Euphorieausgestrahlt, eine Art Leuchten; zu allem habe sie eine entschlossene Meinung gehabt; habe insgesamt an die Menschen geglaubt; habe trotz ihrer Schönheit niemanden eingeschüchtert, sondern die Leute auf eine schwer beschreibbare Art durch ihre bloße Anwesenheit zu den erstaunlichsten Dingen ermutigt. Selbst wer nur kurz mit ihr redete, sagt Janischek, habe einen veränderten Lebensentwurf vor sich aufscheinen sehen und sich selbst in einem glanzvolleren Licht. Manche Leute seien allerdings süchtig nach diesem eigenartigen Effekt geworden und an Phyllis’ Verschwinden fast zugrunde gegangen, auch und besonders der Kollege Bellmann.
     
    Bellmann hatte Mühe, sie zu verstehen. Er sah, dass sich ihr Mund bewegte, hörte ihre Stimme wie ein fernes Echo, den ganz Melodie gewordenen Fluss ihrer Sprache, der ihm nichts mehr sagte, und dann versank er in einem Tagtraum, in dem er sich mit ihr in seinem Mercedes auf der Autobahn irgendwohin fahren sah – stattdessen fuhr er sie nach Hause.
    »Sie wohnte nicht allein«, sagt Bellmann, »das war so eine Altbauwohnung, die sie sich mit vier oder fünf anderen teilte.« Sie lud ihn auf einen Tee ein, und während sie, inzwischen barfuß, auf der Stelle wippend, in einem rostbraunen Topf Wasser kochte, tauchten ein paar Männer in der Küche auf. Einer trug einen Vollbart, der nahtlos in sein dichtes Brusthaar überging. Sein Kopf war komplett zugewuchert; nur Augen, Mund und Nase schauten aus dem Dickicht hervor. »Tag«, sagte er zu Bellmann und kratzte sich mit dem rechten Fuß am linken Knie. Alle Menschen in dieser Wohngemeinschaft waren barfuß; Bellmann empfand seine Schuhe plötzlich als unpassende, fast absurde Objekte. Am Küchentisch las einer ein Traktat. »Das ist der schöne Günther, er studiert Soziologie«, flüsterte Phyllis. Kurz darauf saß Bellmann mit einer dunkelbraunen Teetasse neben dem schönen Günther und diskutierte mit ihm über die Verhaftung von Ulrike Meinhof und Gerhard Müller und über Ceylon, das neuerdings Sri Lanka hieß – er wolle dorthin fahren, erklärte Günther, während er sich kompliziert unter der Fußsohle kratzte (es scheint hier eine Art von Fußpilz zugeben, dachte Bellmann, kein Wunder, andererseits), er wolle beim Aufbau helfen und die marxistische singhalesische Jugend unterstützen – »ein Arzt wie du«, sagte er, »sollte das auch tun, du wirst da unten mehr gebraucht als hier, aber das wäre dir«, schloss er seine kleine Ansprache mit einem abschätzigen Blick auf Bellmanns polierte Lederschuhe, »wahrscheinlich zu unbequem«. Phyllis, die dem schönen Günther bewundernd zugehört hatte, sagte etwas zu Bellmanns Verteidigung, und Bellmann wurde wütend und erzählte von den indischen Ärzten, die er ausgebildet hatte; es sei keineswegs so, dass er hier … er würde, ganz im Gegenteil, noch heute, kein Problem … und nur, weil sich einer einen schönen Pullover anziehe und nicht überall behaart sei, heiße das ja wohl bitte noch lange nicht … Aber es war sinnlos. Diese Menschen hier hassten alles, was er liebte. Sie erklärten allen Ernstes ihn, der sich von seinem

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