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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Armen davongetragen hatten, aber nicht willens waren, zu berichten, wie es dazu hatte kommen können. In Großhadern brannte ein Auto aus.
    Es wurde kalt; letzte Blätter trieben von den Bäumen, nachts fror es. In Amerika wurde Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt.
    Mitte November verschwand Mallorca-Walter und tauchte eine Woche später in einem Industriegebiet bei Rosenheim wieder auf; jemand hatte ihn so lange mit dem Kopf auf das Lenkrad seines Wagens geschlagen, bis er bewusstlos geworden war, das Toupet hing verkehrt herum, wie ein Skalp, am Rückspiegel des Autos. Die Polizei fand einen verletzten Jugoslawen in der Unterführung am Hauptbahnhof; er war eine Rolltreppe hinuntergestürzt. Man ging von einem Unfall aus, bis man in Sendling in einem Hinterhof die Spuren einer Hinrichtung fand. In den Polizeiakten wird beschrieben, dass ein Mann, bei dem es sich offenbar um den Mitbewohner des gestürzten Jugoslawenhandelte, an eine Bierbank gefesselt worden war, die in einer Garage stand. Laut Obduktionsbericht sei dann jemand rückwärts mit einem Auto in die Garage gerast und habe das Opfer mit großer Wucht gegen die Wand gedrückt; sogar die Heckler & Koch HK4, die der Mann in seiner Sakkoinnentasche getragen hatte, wurde durch den Aufprall verbogen, sie steckte quer im Brustkorb des Toten. Im Zuge der Ermittlungen wurde auch Comeneno befragt, der auf diese Weise von Onkel Pepos Ende erfuhr.
     
    Als Comeneno Mattia anrief, beteuerte der, mit alldem nichts zu tun zu haben; er habe sich der Sache demnächst annehmen wollen, wenn sie sich inzwischen auf diese Weise geklärt habe, umso besser. Es war das letzte Mal, dass Comeneno mit seinem Halbbruder sprach.
     
    Am Abend des 23. November 1980 bebte in Kampanien und Basilicata, zwischen Neapel und Potenza, die Erde. Es war das schwerste Erdbeben der italienischen Nachkriegsgeschichte; das Hypozentrum lag in einer Tiefe von zwanzig Kilometern; die Messstationen registrierten Erdstöße von 6,89 auf der Momenten-Magnituden-Skala. Fast dreitausend Menschen starben, dreihunderttausend wurden obdachlos; es gab mehr als neunzig Nachbeben, die Wasserversorgung, der Strom und die Telefonverbindungen brachen zusammen. Comeneno erhielt ein Telegramm seines Vaters, sie hätten die Sache unbeschadet überstanden, den Kindern gehe es gut. Er fuhr noch in der Nacht los, um sie zu holen.
     
    Don Tommaso hatte das Erdbeben nicht überlebt; er war, als das Beben einsetzte, bei Freunden in Avellino gewesen; man fand ihn, von Mauerstücken erschlagen, zwischen der Piazza Libertà und der Piazza Kennedy. Er trug seinen schwarzen Mantel.
     
    Bei seiner Beerdigung gab es ein Problem, über das in der Familie noch lange gesprochen wurde, weil es wie ein letzter bizarrer Scherz des Verstorbenen wirkte.
    Seine Beerdigung war für Donnerstagvormittag angesetzt. Als sich die versammelte Trauergemeinde zum Friedhof begeben wollte, hielt ein Leichenwagen vor den verrosteten Kerzenständern, die die alte Sandsteinmauer des Cimitero Pietà säumten. Der Leichenwagen war leer. Wo der Sarg hätte stehen sollen, lag nur eine koffergroße Styroporkiste, sonst nichts.
     
    Der Bestattungsunternehmer stieg aus und erklärte, es habe leider eine Panne gegeben; Don Tommaso sei nicht, wie geplant, mit dem Kühltransporter aus Avellino in Neapel eingetroffen, sondern durch ein Versehen des Spediteurs irrtümlicherweise nach Rom geliefert worden, eine Panne, die man sehr bedaure. Im Moment befinde sich Don Tommaso in einem Kühlhaus in Prima Porta bei Rom, die Rückführung gestalte sich allerdings etwas schwierig.
    Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Der Priester schaute indigniert auf seine Rede und faltete sie wieder zusammen, die Frauen setzten ihre Hüte ab, ein Dicker riss an seinem Krawattenknoten und blinzelte in die unbarmherzig herunterbrennende Sonne.
    Beim Mittagessen, das die Trauergemeinde unmittelbar nach der Absage der Beerdigung einnahm, erzählte man Geschichten von Don Tommaso; wie er im Krieg seine Brüder und seinen Glauben und danach etwa vierzehn Uhren, dreiunddreißig Regenschirme und hundertachtzig Fußballwetten verloren hatte; wie er Anwalt wurde und mit seiner Frau in den Norden ging; wie er Mailand gehasst habe; wie sehr er es liebte, in einem grauen Flanellanzug an der blau-weiß gekachelten Bar des Parco dei Principi seinen Bourbon zu trinken; dass er stets in Unruhe gelebt habe und nur seiner Frau und seinem Mantel treu gewesen, ansonsten aber nacheinander

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