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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Katholik, Marxist, Anarchist, Kapitalist und Buddhist gewesen sei, dass er früher liebend gerne verreist sei, nach Indien, Japan, Thailand und Afrika (nur nicht nach Amerika, Amerika interessiere ihn un cazzo , sagte er entgegen seinen ansonsten tadellosen Manieren, wenn man ihn danach fragte) und auch später im Alter immer im Aufbruch gelebt zu haben schien – sein Wagen, ein Lancia Appia, musste immer vollgetankt vor der Türstehen, sonst konnte er nicht schlafen; einmal, hieß es, sei er sogar nachts zur Agip-Tankstelle gefahren, nur um zu tanken; sogar als Toter schien er sich zu weigern, irgendwo bleiben zu müssen.
     
    Am Abend saß Comeneno zwischen Carlotta, Francesco und seiner Mutter im Haus seiner Eltern und fragte nach Mattia. Niemand hatte ihn gesehen. Es gab Gerüchte, er sei ebenfalls ums Leben gekommen; jemand wollte gesehen haben, wie er am Morgen des 23. November mit dem Auto nach Potenza aufgebrochen sei. Seine Mutter wirkte wie versteinert in ihrem schwarzen, groben Kleid und sagte nichts, sein Vater, dem die Frage sichtbar unangenehm war, lenkte das Thema auf die Präsidentschaft des ehemaligen Schauspielers Ronald Reagan und wollte erörtert wissen, ob wohl vorstellbar sei, dass Adriano Celentano einmal Präsident von Italien werde. Erst als die Kinder ins Bett gegangen waren und sich der Mond draußen im Lack des Mercedes spiegelte, machte er eine Flasche Wein auf und erzählte Comeneno, was sie gehört hatten. Man hatte ein Waffendepot in Mattias Haus gefunden; er hatte sich in den letzten Jahren immer öfter im Hafen mit einem Amerikaner getroffen und war danach oft monatelang nicht aufgetaucht.
    Jahre später, als Mattia in Barcelona verhaftet wurde, hieß es, er sei Mitglied von Gladio gewesen, einer paramilitärischen Geheimorganisation, die nach dem Krieg mit Hilfe des CIA als Stay-Behind-Taskforce gegründet und vom Clandestine Planning Committee der Nato in Mons gesteuert worden war, um im Falle einer sowjetischen Besetzung Europas Sabotageakte auszuüben und den Kommunismus zurückzudrängen. Sie wurde erst 1990 mit dem Zerfall der Sowjetunion aufgelöst. Gladio war für zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien verantwortlich. Die Organisation plante Anschläge, für die man dann die Roten Brigaden und andere linksextreme Terroristen verantwortlich machte, um die öffentliche Meinung zuungunsten der traditionell starken italienischen Kommunisten zu beeinflussen und zu verhindern, dass sie an einer Regierung beteiligt und die Nato unterwandern würden. Vincenzo Vinciguerra,Neofaschist und Gladio-Mitglied, wurde 1990 wegen Mordes an drei Carabinieri bei Peteano im Jahr 1972 verurteilt. Er sagte aus, dass er »Zivilisten angreifen musste, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Geschehen waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten.« Der italienische Militärgeheimdienst SISMI habe ihn beschützt und nach dem Peteano-Anschlag in das von Franco regierte Spanien ausgeflogen. Was Mattia bei Gladio genau getan hatte, fand man niemals heraus.
     
    Am nächsten Tag fuhr Comeneno nach Rom und suchte nach Don Tommaso. Er traf mittags in Prima Porta ein, füllte Dokumente aus, kopierte Ausweise, unterschrieb Bescheinigungen, telefonierte mit Behörden, fuhr schließlich in das Kühlhaus am Tiber, in dem es nach scharfen chemischen Reinigungsmitteln, Plastik, Gummi und modernen Kühlanlagen roch, und identifizierte Don Tommaso; sein Mantel hatte alles unbeschadet überstanden. Während er in das würdevolle, abenteuerlich zerfurchte Gesicht des toten Don Tommaso schaute, dachte er, dass Francesco sich über den Mantel freuen würde, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder.
     
    Er nahm nicht die Autobahn nach Neapel, sondern fuhr quer durch Rom, die Via del Teatro Marcello hinauf, hielt kurz vor der Piazza Venezia und schaute in den Abendhimmel; hoch über dem Vittoriano kreisten Möwen im Licht der Flutscheinwerfer; sie segelten wie Papierfetzen in Zeitlupe in die Tiefe.
     
    Bei der Beerdigungsfeier hatte er eine Frau gesehen, die er von früher kannte. Sie waren ein paarmal tanzen und einmal in Positano gewesen und hatten sich nachts am Castello dell’Ovo getroffen, aber dann hatte sie sich mit dem Sohn eines reichen Bauunternehmers verlobt. Als er das Paar jetzt wiedersah, erkannte er beide kaum wieder:

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