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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Betreten der Oper nicht für Gekicher sorgte. Aber Don Tommaso trug seine schwarze Kutte mit einer Hartnäckigkeit, die seinem konservativen Gemüt, seiner neapolitanischen Prägung, seinem vom Leben ramponierten Katholizismus und dem Gefühl entsprang, das wenige, was ihm aus seiner Jugend geblieben war, in die Nachkriegszeit retten zu müssen. Er ließ den Mantel alle fünf Jahre ausbessern, blieb gegen Anoraks und moderne Doppelkammer-Regenjacken resistent und legte auch den cremefarbenen Trenchcoat, den ihm seine Frau aus der Stadt mitgebracht hatte, mit der Bemerkung beiseite, er möge nun mal keine bunten Sachen. Er gehörte zu einer Generation, für die Eleganz mit der Farbe Schwarz verbunden war, und sein Urgroßneffe war so gesehen der erste, der im hektisch geblümten, seidenschimmernden, buntgestreiften Ensemble seiner Familie wieder an die alte, strenge neapolitanische Kleidungstradition erinnerte.
     
    Es fing an zu regnen, dann ging der Regen in einen Graupelschauer über. Der Verkehr war dicht, die Lichter spiegelten sich auf dem Teer, die Scheibenwischer prügelten den wässrigen Schneematsch über den Rand der Windschutzscheibe. Comeneno drehte am Suchlauf des Becker-Mexico-Radios und fand einen italienischen Sender; in Italien war der Verkauf von Kalbfleisch verboten worden, nachdem man in Stichproben Östrogen entdeckt hatte, Bob Marley hatte ein Konzert in Pittsburgh gegeben. Es war das letzte seines Lebens, ein paar Monate später sollten sie ihn nach Rottach-Egern bringen, wo ihn der Scharlatan Josef Issels zu heilen versuchte; Marley verlor bei der Chemotherapie alle Dreadlocks; wenig später starb er.
     
    Die Fahrt durch Österreich dauerte nicht lange. An den Seitenfenstern schossen Lärmschutzwände aus Beton mit wirren Mustern vorbei, der Motor gab ein monotones Brummen von sich. Hinter Innsbruck machte Comeneno eine Zigarettenpause; die Luft war kühler hier und klar. Die Dörfer lagen wie Geröll im Tal, manchmal tauchte ein spitzer roter Kirchturm auf. Etwas tropfte irgendwo, weiter unten rauschte ein Bergbach. Ein paar Tannen knackten im Wind, der von den dunklen Gipfeln ins Tal wehte. Er sah das ausgewaschene, graue Holz einer Bank und das matschige Gras und die nasse, schwarze Erde, die dort, wo im Winter der Schnee lag, glitzerte. Ein verrostetes Schild empfahl das Anlegen von Schneeketten. Oben, jenseits der Baumgrenze, glänzten abgefressene Felsen in der Sonne.
     
    Nach zwei Stunden hatte er den Brenner passiert; die Autobahn wand sich jetzt südwärts ins Tal. Vor Bozen tauchten die ersten Weinberge auf. Ab Trento veränderte sich die Farbe der Häuser – sie waren jetzt nicht mehr schneeweiß, sondern ocker und rosa, und in den Gärten standen schwarze Zypressen. Er fuhr schnell, fast zweihundert, und blendete auf, wenn ein Wagen vor ihm auftauchte. Die meisten zogen auf die rechte Spur, nur einmal blieb ein Fiat vor ihm, der einen deutschen Reisebus überholte, und er fuhr einen halben Kilometer lang neben dem Bus. Hinter den braunen Gardinen sah er alte Leute, die ausdruckslos aus dem Busfenster starrten; einige waren eingeschlafen.
     
    Schilder kündigten Ausfahrten nach Mantua an. Die Landschaft war flach, an klaren Tagen konnte man hier weit in die Ferne schauen – aber auch in der Ferne gab es nichts, nur ein paar Lastwagen, auf die Kartoffeln verladen wurden. Im Radio berichteten sie, dass es in München ein Attentat auf das Oktoberfest gegeben habe. Die Hügel von Fiesole zogen vorbei, in der Ferne tauchte die Florentiner Domkuppel auf, eine Zitronenpresse am Horizont.
    Comeneno schaute auf die Fahrbahn und dachte an Don Tommaso, der aus Liebe zu seiner Frau sein halbes Leben in Mailand verbracht hatte, in einer Stadt, die ihm abgrundtief zuwider war; wenn er imSommer nach Neapel kam, verbreitete er wüste Thesen über die Wesensart der Norditaliener, aber nur, wenn seine Frau nicht im Raum war. Wenn sie hereinkam, verstummte er, kratzte sich an seinem Vogelkopf und sagte: »Nein, wir haben es schon schön dort oben.« Was hätte er auch anderes sagen sollen: Es war sein Leben, er hatte keine andere Wahl.
     
    Als sie in Neapel ankamen, hing ein Gewitter über dem Golf von Sorrent, Blitze zuckten, am Horizont ging Regen auf das Meer nieder. Er ließ die Scheiben hinunter, und das Heulen der Motorräder im Tunnel drang wie ein Klagelaut zu ihnen herein.
    Er fuhr nicht direkt nach Vomero, sondern über die Piazza Cavour, vorbei an der Kirche und hinunter zum Hafen, wo

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