Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
einen feinen silbernen Bügel, der, wenn man ihn leicht antippte, eine Hupfanfare auslöste. Der neue Mercedes hatte gigantische rote Rückleuchten und ein großes schwarzes Lenkrad; alles an ihm war breiter und größer. Hannelore Petrowski saß tief über der Straße, zu tief für ihren Geschmack. Wenn sie eingestiegen war, sank sie nach unten, wie in eine Gruft, einen Sarg, dachte sie, das war nicht gut – und nichts für ihren Rücken. Dafür machte ihr die Beschleunigung Freude; sie war schon immer gern schnell unterwegs.
In ihrem Viertel gab es nur zwei Drogerien, die Snob führten, und die Vorstellung, das Parfüm könnte in beiden vorübergehend ausverkauft sein, beunruhigte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals anders gerochen zu haben, obwohl sie schon über vierzig gewesen sein musste, als Snob auf den Markt kam, aber das war schließlich auch schon wieder ein paar Jahrzehnte her.
Sie hielt vor der Drogerie Stankowski im Halteverbot, eilte die Stufen hinauf, fragte nach Snob und erhielt die Antwort, die sie insgeheim befürchtet hatte: Snob habe man schon ewig nicht mehr auf Lager; man werde versuchen, einen Flakon zu bekommen, könne aber nichts versprechen.
Hannelore Petrowski fuhr zum Kaufhaus; aber dort hatte man noch nie von Snob gehört, also tat sie das, was sie in Augenblicken übergroßer nervlicher Belastung am liebsten tat: Sie ging in die Gourmetabteilung und bestellte einen Teller Shrimps, einen Wodka und ein Glas Champagner; den Wodka stürzte sie sofort hinunter, trank dann zügig den Champagner aus und machte sich an die Shrimps. Sie mochte den leichten Widerstand der rötlichen Chitinpanzer, die unter dem Druck ihrer Finger schließlich zerplatzten und das feste, weiße Fleisch freigaben, und sie freute sich über die ölige Soße und lecktesich die Finger ab. Die Witwen, die sich hier oben am Tresen der Gourmetbar durch ihren ereignislosen Vormittag tranken, schauten sie erstaunt an.
Nach dem zweiten Wodka fühlte sie sich besser. Sie bestellte sich noch einen Champagner und fuhr zur nächsten Parfümerie. Dort erfuhr sie, dass Le Galion Snob schon seit längerem eingestellt hatte. Auf Lager hätten sie nichts mehr, leider, erklärte die Verkäuferin freundlich.
Hannelore Petrowski war wie betäubt. Während der Heimfahrt stieg der Geruch der Schalentiere von ihren Händen zu ihrer Nase auf; sie versuchte, das Lenkrad nur mit den Handballen zu berühren.
Günther Petrowski saß im Wohnzimmer an seinem Schreibtisch unter einem handsignierten Foto von Luigi Bernauer – das Bild war ein Geschenk an seine Frau. Er trug einen Kaschmirpullover und eine senffarbene Cordhose und erledigte ein paar Briefe. Neben der Schreibunterlage stand ein Glas Sherry, im Hintergrund tobte Suppés Leichte Kavallerie . Petrowski hörte am liebsten Märsche, manchmal, wenn Hannelore einkaufen war, drehte er den Trabmarsch aus Schuberts Forellenquintett oder Luigi Denzas Funiculì Funiculà so laut auf, dass die Nachbarn – humorlose, blasse Angestellte aus der städtischen Finanzverwaltung mit einem ausgeprägten Ruhebedürfnis, Menschen, mit denen er nie redete – herüberkamen und klingelten. Wenn er nicht reagierte, hämmerten sie mit ihren mageren Fäusten gegen die Haustür und riefen schließlich die Polizei. Die Beamten standen dann nach erfolglosen Klingelversuchen erstaunt vor dem Wohnzimmerfenster und schauten zu, wie der Erfinder der Flirtstange, in Hemd und Socken, die Hose mit breiten Hosenträgern über dem Bauch befestigt, durch den Raum tänzelte und mit einer Zigarre ein imaginäres Orchester dirigierte.
Als Hannelore den Raum betrat, blickte er von seinem Schreibtisch auf, hob das Sherryglas, rief ihr »Hallo, Darling« entgegen und ließ sich in seinen Schreibtischstuhl zurücksinken.
Sie erzählte ihm nichts. Sie probierte stillschweigend ein Parfüm aus, das man ihr vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, etwas von Chanel.
Er verlor kein Wort darüber, er schien nichts zu merken. Sie aber fühlte sich gehäutet. Wenn sie auf die Straße ging, lief sie leicht gebückt wie jemand, der plötzlich feststellen muss, dass er etwas völlig Unmögliches angezogen oder getan hat. Sie versuchte, ganz auf Parfüm zu verzichten, aber wenn sie sich mit der Hand durch ihr kurzgeschnittenes Haar fuhr, schien es ihr, dass ihr Arm einen müffelnden, erdigen Geruch verströmte. Ihr Körper erschien ihr deutlich älter und faltiger.
Sie kaufte ein anderes
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