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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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IrgendwannEnde der siebziger Jahre war Günther dann dazu übergegangen, zu ihrem Geburtstag riesige, exotische Blumensträuße anliefern zu lassen, was ihr angesichts der Snob-Schwemme im Keller nachvollziehbar erschien – aber jetzt musste sie feststellen, dass das Lager aufgebraucht war. Ihr kam ein furchtbarer Verdacht. Also stieg sie in den Mercedes und fuhr in die Stadt.
     
    Es war das erste Mal, dass sie keinen fabrikneuen Mercedes gekauft hatten. Dabei war es nicht so, dass sie sich keinen neuen Mercedes hätten leisten können; Günther Petrowski hatte mit sechsundzwanzig eine Traditionsbäckerei geerbt, die unter seiner Leitung zu einem Großunternehmen mit zwanzig Filialen angewachsen war, außerdem hatte er, bevor er in den Ruhestand ging und das Geschäft ihrem gemeinsamen Sohn überließ, viel Geld mit einer Salzstange gemacht, die, abgepackt in schmale Papierkartons, in allen Supermärkten verkauft wurde und »Flirtstange« hieß. Auf der Packung tanzten ausgelassene Menschen um einen Tisch mit Flirtstangen herum. Später hatte er die Rechte an der Flirtstange an einen großen Kekshersteller verkauft.
     
    Als sein alter 300er mit einem Kolbenfresser zusammengebrochen war, hatte Günther Petrowski beschlossen, einen neuen Wagen zu kaufen. Er wolle, hatte er zu Hannelore gesagt, auch bei ein paar anderen Marken schauen, ein Audi, früher gehörten die zu Auto Union, das seien schöne Wagen, oder ein Mitsubishi, warum nicht!
    Wäre es nach Hannelore gegangen, hätten sie gleich wieder einen Mercedes genommen, aber dann tippte der Mercedeshändler auf seinem Solartaschenrechner herum und murmelte wie ein Priester ein paar Formeln, »zweihundertneunundsiebzig PS, vier Komma zwei Liter, unter acht Sekunden auf hundert und vierhundert Newtonmeter, da kommen wir schon mal vom Fleck, mit Leder und Schiebedach wären wir dann bei« – hier ließ der Händler seinen Zeigefinger zu einem finalen Stoß auf die Tasten seines Rechners stürzen – »etwa hundertfünfundzwanzigtausend Mark«.
    etrowski hatte ihn ungläubig angeschaut und nach Hannelores Hand gegriffen, er hatte lautlos die Zahl wiederholt und dann »vielen Dank erst mal« gesagt, und der Verkäufer hatte ihnen mit einer übereifrigen Verbeugung die Tür zum Parkplatz aufgehalten.
     
    Eine Woche später standen sie im Verkaufsraum eines japanischen Autoherstellers vor einem senfmetallicfarbenem Neuwagen, der neben einer Zimmerpalme parkte und, als ob er vor seinem Spiegelbild erschrecke, mit weit aufgerissenen Scheinwerferaugen ins Fenster starrte. Wo an Petrowskis altem Mercedes eine Chromstoßstange prangte, die Günther alle vier Wochen mit einer Politur so lange bearbeitete, bis sein eigenes Zerrbild breit und klar hervortrat, waren hier unförmige, orthopädisch wirkende Plastikmassen angebracht, aus denen die Blinker furunkelartig hervortraten; zwischen ihnen tat sich eine klägliche, an einen pfeifenden Mund erinnernde Kühleröffnung auf. Petrowskis alter Mercedes hatte einen tempelartigen Kühlergrill, auf dem der Stern thronte wie auf einer Festung aus Stahl, Chrom und Superbenzin. Bei diesem Auto fiel die Motorhaube oder das, was davon übriggeblieben war, schräg ins Nichts; es war, als habe der Wagen sich von der Idee eines Motors bereits verabschiedet, das fließend gestaltete, cremefarbene Innere erinnerte an geschmolzenen Käse, die Fenster waren schießschartenartig klein – das Auto sah aus, als hätte es, wie es manche Rentner tun, den Hosenbund bis unter die Brust hochgezogen. Der Verkäufer bot ihnen ein anderes Auto an, einen Geländewagen mit einem silbernen Rammbügel und einer Seilwinde an der Vorderstoßstange – Gerätschaften, die in unwirtlicheren Gegenden der Welt dazu benutzt werden, sperrige Säugetiere ohne Geschwindigkeitsverlust von der Fahrbahn zu katapultieren oder Geldautomaten aus ihrer Verankerung zu reißen. Nachdem es Günther Petrowski im dritten Anlauf gelungen war, den Fahrersitz zu erklimmen, kam es ihm vor, als sitze er nicht in, sondern auf einem Auto. Sie bekamen ein paar Kataloge und eine Visitenkarte mit dynamisch schrägstehenden Buchstaben in die Hand gedrückt und verließen das Autohaus. Am nächsten Tag entdeckte Günther Petrowski unter den Gebrauchtwagenannoncender Lokalzeitung den alten Mercedes SL. Er kaufte ihn noch am selben Tag.
    Der Wagen war flacher als der alte 300er und härter. Der alte Mercedes schwankte wie ein Sofa durch die Kurven, das Lenkrad war dünn und groß und hatte

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