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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Hannelore lauschte und hielt den Atem an. Plötzlich erlosch das Licht.
    Hannelore Petrowski stieß einen spitzen Schrei aus, und der Flakon fiel auf die Fliesen und zersplitterte. Hedwig Kruspe hatte das Licht ausgeschaltet.
    »Oh, entschuldige, Lorettaschätzchen, ich dachte nicht, dass du da immer noch drin bist«, drang eine giftige Stimme durch die Badezimmertür, und Hedwig schaltete das Licht wieder ein. »Alles in Ordnung?«
    »Ja«, sagte Hannelore Petrowski und versuchte, den Medikamentenschrank mit einer Nagelfeile aufzubrechen, was ihr auch gelang; allerdings zerbrach ihr dabei die Feile. Einen kurzen Moment stand sie da, die abgebrochene Feile in der Hand, inmitten eines Scherbenhaufens, vor einem Schrank, aus dem ein medizinisch scharfer Geruch drang, in dem aber kein Snob war. Dann fegte sie die Scherben mit der Spitze ihres Schuhs zusammen und warf die halbierte Feile hinter den Spülkasten.
    Die Verabschiedung fiel kurz und unterkühlt aus.
     
    Hannelore rief Jeanne Goldberg an. Sie hatten sich in Berlin kennengelernt, bei Werbeaufnahmen für Liebigs Dampf-Wasch-Automat (es gibt ein Foto von den beiden, das sie begeistert neben einer monströsen Maschine zeigt, »Ein Freudentag ist der Waschtag nur mit Liebigs Dampf-Wasch-Automat«, stand darunter).
    Sie waren Anfang zwanzig damals; sie hatten sich Pagenköpfe schneiden lassen und wurden spätabends von Herren in schweren Limousinen abgeholt; sie gingen in die Komödie und ins Theater am Kurfürstendamm und sahen Édouard Bourdets Gefangene und sein Schwaches Geschlecht , für das man auf der Bühne die Empfangshalle des Pariser Ritz nachgebaut hatte. In derselben Kulisse sahen sie auch eine Modenschau von Jeanne Lanvin, gingen im Ambassadeur tanzen, oder sie nahmen das Auto von Hannelores Vater und fuhren über den Kurfürstendamm zum Nollendorfplatz und zurück zum Gloria-Palast, dem Marmorhaus und dem Ufa-Theater, deren Lichter den Nachthimmel violett glühen ließen; ein Lyriker, ein dicker Mann mit noch dickeren Brillengläsern, er hieß Ernst Blass, schrieb ihnen Gedichte auf die Rückseite seiner Getränkerechnungen, die sie in ihre Taschen stopften und vergaßen. Monate später entdeckten sie die Texte wieder; sie waren sehr schön.
    Jeanne bekam ein paar kleine Rollen am Metropoltheater, sie trat hier und da auf und ging viel mit Hannelore aus, ins Barberina und ins Rio Rita, mit Männern, die ihre Haare mit Pomade nach hinten kämmten und absurde spitze Schuhe trugen. Manchmal tanzten sie auch mit Frauen. Sie waren im alten Theater am Nollendorfplatz, als der Film Im Westen nichts Neues gezeigt wurde, und standen danach auf der Straße und hörten die Hochbahn über sich donnern, während die SA vor dem Theater eine Schlägerei anzettelte.
    Und dann, von einem Tag auf den anderen, war Jeanne mit ihrer Familie plötzlich verschwunden, nach London. Sie schrieben sich noch ein paarmal, dann hörten sie nichts mehr voneinander. Jeanne verbrachte den Krieg im Exil, Hannelore Petrowski schlug sich mit miesen Nebenrollen an den Kammerspielen durch, wurde ausgebombt, ging aufs Land, und die erdigen, dunklen Jahre begannen; feuchteBöden, Kartoffelernte, Fliegeralarm, das Heulen am Himmel. Nach dem Krieg traf sie Jeanne wieder; Rudolf Nelson, der Komponist, hatte sie zurückgeholt. Jeanne bekam ein paar Auftritte in Berlin, ging dann nach Paris und Chicago, und sie verloren sich wieder für ein, zwei Jahrzehnte aus den Augen.
    Aber seit 1990 lebte sie ganz in Hannelores Nähe, und sie trafen sich regelmäßig.
    Gleich nachdem beide Kaffee bestellt hatten, fragte Hannelore Petrowski Jeanne, ob sie noch wie damals Snob trage. »Aber nein«, sagte Jeanne Goldberg erstaunt, »das war Cynique von Chanel damals.«
     
    Sie fuhr zu Clara Bijoux, die mit ihrem Mann in einer Seniorenresidenz am Zoo lebte. Hannelore Petrowski hatte es bisher vermieden, sie dort zu besuchen, sie scheute sich, Altersheime zu betreten, als ob sie den Tod auf sich aufmerksam machen würde, wenn sie sich dort zeigte. Sie war erst einmal in ihrem Leben zu Besuch in einem Altersheim gewesen, bei einem Freund von Günther, und an diesem Tag war dort jemand gestorben, am hellen Nachmittag, er hatte im Rollstuhl vor einem Beet mit Geranien gesessen und die Bild -Zeitung gelesen, und plötzlich war er mit dem Blatt vor der Nase einfach vornüber in die Blumen gekippt, als wollte er an ihnen riechen; sein Kopf lag zwischen einer riesigen Überschrift und drei abgebrochenen

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