Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Parfüm, von dem die Drogistin behauptete, es rieche ähnlich wie Snob, aber das tat es nicht, und wenn sie es trug, kam es ihr vor, als würden die Dinge um sie herum falsche Farben annehmen.
Am dritten Tag zog sie ihren alten Nerz an, schlich unbemerkt an Günther vorbei, der mit einem schweren Füllfederhalter Neujahrsgrüße an ein paar Großbäckerkollegen schrieb, und fuhr in die Stadt. Im Rückspiegel sah sie, dass tiefe, schwarze Ringe unter ihren Augen lagen. Drei Nächte lang hatte sie kaum geschlafen; das Bett, der Bademantel und, schlimmer, sie selbst, alles erschien ihr irgendwie ungelüftet und abgestanden.
Sie kannte in der Stadt drei Frauen, die ebenfalls Snob benutzten. Diese Frauen – Freundinnen oder ehemalige Freundinnen, Bekannte, Kolleginnen – musste sie jetzt aufsuchen.
Hedwig Kruspe schaute misstrauisch, als sie sah, wer dort, bewaffnet mit einer Pralinenschachtel, vor ihrer Tür stand. Niemals würde Hannelore Petrowski sie einfach so besuchen, es musste einen Grund geben, und es machte Hedwig Kruspe nervös und wütend, dass sie keine blasse Ahnung hatte, was dieser Grund sein konnte. Hannelore Petrowski stand in einem fast bodenlangen Nerz vor einem Mercedes Cabriolet – ein Nuttenauto, dachte Hedwig Kruspe, sie fährt ein verdammtesNuttenauto, sie ist wie die Nitribitt, nur schlimmer, aber was zum Teufel will sie jetzt bitte hier?
»Was machst du denn hier«, rief Hedwig Kruspe, eine Spur unfreundlicher, als sie es sich vorgenommen hatte, aus dem Küchenfenster hinaus auf die Straße.
»Ich wollte dich überraschen, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen«, quiekte Hannelore Petrowski und verfluchte im gleichen Moment die scheußliche Alte mit den abstehenden grauen Haaren am Fenster. Sie war schon immer gewöhnlich, dachte Hannelore Petrowski, und jetzt ist sie auch noch alt und böse geworden.
Hedwig Kruspe öffnete vorsichtig die Tür. Hannelore Petrowski, die fast zwei Köpfe größer war, drückte ihr den überdimensionierten Pralinenkasten in die Hand, wie man dem Portier Trinkgeld gibt, und schob sich durch den Flur ins Haus. Ihr blondgefärbter Pagenkopf wirkte beinahe majestätisch im Vergleich zu Hedwig Kruspes dünnem Haar, das ihr in Büscheln vom Kopf stand. Hannelore, dachte Hedwig wütend, hat immer schon die schöneren Haare gehabt, und die besseren Rollen hat sie auch bekommen.
Sie waren auf derselben Schauspielschule gewesen vor dem Krieg. Danach hatte Hannelore sich Loretta Petri genannt – Loretta! Sie hatte schon damals nicht alle Tassen im Schrank, dachte Hedwig – und war eine Zeitlang in der Werbung tätig gewesen. In einem Werbefilm trat sie an der Seite eines schönen Italieners auf, dem das Essen nicht schmeckte; er hielt einen Stab in die Suppe – ein »Gaumometer«, erklärte er, das aber nur bis zu der Markierung »Mittelprächtig« ausschlug, doch dann warf die falsche Loretta ihm ein viereckiges Bröckchen in die Suppe und rief: »Tasty in Würfelform! Gleich morgen: Tasty besorgen!«
Mehr Text, dachte Hedwig Kruspe, hat sich die sogenannte Loretta Petri auch nie merken können. Sie legte den Pralinenkasten auf den kleinen Couchtisch – einmal aufgeklappt, war die Schachtel breiter als der Tisch, weswegen Hannelore den Trockenblumenstrauß auf die Anrichte stellte.
»Schöne Blumen«, rief Hannelore etwas zu laut und pustete einwenig Staub von dem Strauß. »Günther bringt mir jeden Sonntag frische Rosen, ein Herzchen, oder?«
Mascara, Rouge, diese bläulichen Augendeckel, mein Gott, dachte Hedwig Kruspe, die ist ja bemalt wie ein Kindergartenfenster. Sie kochte Kaffee. Hannelore Petrowski, die sich in den cordbezogenen Sessel gesetzt hatte, wippte nervös mit dem rechten Fuß. Dann verabschiedete sie sich ins Badezimmer, schloss ab und sah sich um. Hedwig Kruspes Toilette war mit einem dicken, rosafarbenen Plüsch überzogen. Vor dem Schminkspiegel standen verschiedene Parfümflakons, Givenchy, Chanel, irgendein uraltes Fläschchen, auf dem »Mysterium« stand – und ein leerer Le-Galion-Flakon. Hannelore Petrowski nahm ihn, drückte auf den Sprühkopf, und tatsächlich kam noch ein winziger Tropfen heraus, den sie andächtig auf ihren Handgelenken verrieb. Sie versuchte, den kleinen Medikamentenschrank zu öffnen, aber er war abgeschlossen. Im Flur hörte sie Hedwig Kruspe mit der Kaffeekanne in Richtung Wohnzimmer schlurfen; sie hörte ihren schweren Atem, jetzt blieb sie stehen, direkt vor der Toilettentür.
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