Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Zweitwagen (er besaß auch einen Mitsubishi Pajero, für den Betrieb), aber fühlte sich mit dem Auto fast wie ein Dieb; das Ding hatte nichts mit seinem Leben zu tun; es machte ihn zu einem anderen.
Auf den Kopfsteinpflasterstraßen, die durchs Mansfelder Land führten, lag in diesem Winter Schnee, kein optimales Wetter: In den Kurven brach der Wagen leicht mit dem Heck aus, aber Radonovicz war ein guter Fahrer, und nach ein paar Stunden machte ihm die Fahrerei im Schnee sogar Spaß. Er beschleunigte in den Kurven und ließ den Wagen querdriften; in einer erleuchteten Stimmung fuhr er auf seinen Hof.
Seine Frau schaute auf dem fabrikneuen 17-Zoll-Nordmende-Fernseher »Glücksrad« oder irgendeine andere Sendung, in der Herren mit roten Sakkos gierige Menschen Buchstaben kaufen und seltsame Sprichwörter raten ließen.
Sie hatte eine Batterie Süßigkeiten neben sich aufgetürmt und warf dem Hund von Zeit zu Zeit ein paar Toffifees hin, die er hastig zerbiss. Radonovicz betrachtete die Szene wie ein Polizist, der sich an einer Unfallstelle Überblick verschafft; dann beschloss er, seine Frau nicht bei der mittäglichen Zeremonie zu stören, und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Angetrieben von seiner Frau, hatte Radonovicz das alte Wohnhaus in ein Anwesen verwandelt, das mit seinen weißen Markisen und der Hollywoodschaukel im Garten in einem nicht ganz so vornehmen Viertel von Miami nicht aufgefallen wäre. Die Eingangstür war durch ein Plastiksprossenfenster im Altländer Stil ergänzt worden und wurde neuerdings von zwei weißgestrichenen Gipslöwen flankiert, die jeweils mit der linken Pfote eine weiße Kugel hielten und mit einemfestgefrorenen Gipslöwengrinsen am Besucher vorbei auf die Garage schielten. In der Garage parkten sein Pajero und ein stillgelegter hellblauer Saporoshez, ein erstaunliches russisches Auto mit Heckmotor, das ihn während seiner Zeit als Leiter der LPG sicher über die Straße der Romantik und über die Bier- und Burgenstraße und von Borxleben nach Hackpüffel gebracht hatte. So hießen die Orte hier.
Radonovicz hatte die alte LPG bis zum geplanten Verkauf geleitet. Von den Agrarzuwendungen der Ostförderung kaufte er dann neue Schweine, deren Fleisch in den Restaurants und Biomärkten im Westen reißenden Absatz fand. Der Betrieb ernährte den gesamten Ort, und auch er und seine Familie lebten davon und konnten etwas beiseitelegen; er finanzierte seiner Tochter Tamara, die, anders als alle anderen in der Familie, sehr musikalisch war, ihr Musikstudium in Köln. Seit 1993 arbeitete auch sein Sohn Patrick bei ihm, der gleichzeitig versuchte, sich in Jena als Fitnesstrainer selbständig zu machen, was aber an der feindlichen Einstellung der Jenenser gegenüber beratender Begleitung beim Gewichteheben und Dauerlaufen zu scheitern drohte.
Patrick wohnte in einem kleinen Ort bei Jena, im Souterrain eines Doppelhauses. Nach 1989 war in dieser Gegend nicht mehr viel passiert; die alten Betriebe wurden geschlossen, aber nach der Industrie kam nicht das versprochene hochmoderne Dienstleistungsgewerbe, sondern gar nichts. Ein Sportflughafen wurde errichtet, oben an der B7, zwischen Leumnitz und der E40, aber dann gründeten die Leute aus Naulitz und Thränitz und Zschippern eine Bürgerinitiative gegen Fluglärm; seitdem gibt es nur noch ein paar Hobbyflieger und einige Charterflüge nach Erfurt und Nürnberg.
Hier versuchte es Patrick Radonovicz mit einem eigenen Unternehmen. Er hatte einen Kredit von der Bank bekommen und unten in der Altstadt eine Etage in einer leerstehenden Lagerhalle gemietet und ein paar Geräte gekauft, Hanteln, Matten, eine Rudermaschine, acht Trainingsmaschinen für Bauch-, Rücken-, Arm- und Beinmuskulatur. Er hatte sogar zwei Angestellte, die am Eingang unter dem Firmenschild saßen und die Geräte erklärten. Er bot Judo- und Karatekursean, und ein paar Männer, die für einen privaten Sicherheitsdienst arbeiteten, kamen fast jeden Tag, um bei ihm zu trainieren, aber sie bezahlten nur unregelmäßig und vertrösteten ihn immer wieder, und wenn er sich einen schärferen Ton erlaubte, wurden sie ungemütlich.
Genau genommen verdiente er sein Geld damit, seinem Vater beim Aufbau des Schweinezuchtbetriebes zu helfen. Der Vater zahlte Patrick, was seine Mutter nicht so genau wusste oder wissen wollte, ein üppiges Gehalt dafür, dass er quer durch die Republik fuhr und all das tat, was seinem Vater, der lieber mit Getreideähren, Hausschweinen und
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