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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Cabrio.«
     
    Radonovicz mochte Holger Böhrnagel nicht; er hielt ihn für einen halbkriminellen Angeber, außerdem hatte er seinen Sohn Patrick in ärgerliche Vorfälle verwickelt. Einmal waren Patrick und Holger nach einem Fest auf der schmalen Landstraße zwischen den Orten Oberbösa und Niedertopfstedt mit Herrn Böhrnagels Wartburg ins Schleudern geraten und gegen einen Baum gerutscht. Die Stoßstange, der Blinker und das Blech des linken Kotflügels waren eingedrückt, und es war Holger, der die Idee gehabt hatte, einfach in Straußfurt an einem anderen Wartburg Blinker und Stoßstange abzuschrauben und so den drohenden Fahrzeugentzug durch seinen Vater zu vermeiden.
    Als Herr Böhrnagel am nächsten Morgen seinen Wartburg aus der Garage holte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass der Kotflügel unter der intakten Stoßstange völlig verbeult war (es ist eben schlechtes Blech, bot sein Sohn als Erklärung an, es verzieht sich auf den holprigen Straßen). Dennoch dachte er tagelang darüber nach, wie eine Beule unter eine Stoßstange kommt, bis ihm eine Strafanzeige aus Straußfurt ins Haus flatterte; jemand hatte die beiden beobachtet, sie mussten aufs Polizeirevier.
     
    Nach der Wende hatte sich Holger Böhrnagel als Bauunternehmer selbständig gemacht und schlüsselfertige Krüppelwalmdachhäuser aus norddeutscher Fabrikation verkauft. Das Geschäft lief so gut, dass er bald eine Reihe von amerikanischen Fertighäusern sowie Swimmingpools, Gartendekorationen, Bauernzäune und Kiesauffahrten ins Programm aufnahm. Im Herbst 1990 tat er sich mit einem unansehnlichen dicken Mann zusammen, der aus Bad Homburg stammte und zu Schleuderpreisen Ladenhüter aus westdeutschen Baumärkten aufkaufte. Im Osten war es kein Problem, das Zeug an den Mann zu bringen. Böhrnagels Elitetruppen rückten in kleinen Renault-Transportern an und verwandelten die graubraunen DDR-Eigenheime binnen kürzester Zeit mit tonnenweise Furnierplatten, Gipskartons, Blumentapeten, abwaschbaren Fenstersprossen, Toskanakacheln, Veloursbommeln und Seidenimitat in den Albtraum eines französischen Provinzfürsten. Von den beträchtlichen Summen, die er damit einnahm, hatte er einem sorbischen Händler sein Grundstück abgekauft, eine hohe Hecke pflanzen und sich eine Villa im toskanischen Stil bauen lassen, mit Terrakottalöwen in der Einfahrt.
    Holger Böhrnagel war mit Patrick befreundet gewesen, aber genau genommen waren sie es seit Jahren nicht mehr, obwohl Holger ihm gegenüber als sorgender Freund auftrat (eine schmierige, demütigende Nummer, für die Patrick Radonovicz ihn noch mehr hasste); er kam vorbei, wenn er Patricks Renault im Hof stehen sah, und fragte mit einem bekümmerten Blick, ob es denn gut laufe mit »den« Fitnessstudios; er höre, dass ein paar große amerikanische Ketten nach Mitteldeutschland expandieren wollten, aber (dies sagte er mit einem aufmunternden Schulterklopfen) »du wärst nicht Patrick, wenn du die nicht kleinkriegen würdest«.
     
    Peter Radonovicz beschloss, seine Frau zu überraschen. Sie waren seit vierundzwanzig Jahren verheiratet, und er hatte ihr nie etwas Besonderes geschenkt, höchstens Kleinigkeiten – einmal einen Ring, sicher, dann etwas für die Küche, einen neuen Couchtisch oder einen Fußhocker für den Fernsehsessel. Aber er hatte keine besondere Begabungdafür, Geschenke zu machen; in vierundzwanzig Jahren war es ihm nur einmal gelungen, ihr etwas wirklich Umwerfendes zu schenken, und das war der Hund, den er aus dem Tierheim geholt hatte, ein Leonberger, der allerdings als Hofhund völlig ungeeignet war, weil er meistens schlief, in der Küche oder neben dem Fernseher lag, den Kopf zwischen den Pfoten, und darauf wartete, dass man ihm irgendwelche Essensreste oder Toffifees in seinen überdimensionierten Blechnapf warf, den er so gut wie nie aus den Augen ließ und ängstlich bellend gegen alle möglichen eingebildeten Gefahren verteidigte.
    Radonovicz wusste, dass seine Frau von einem Urlaub auf einer tropischen Insel träumte. Sie hatten nie eine große Reise unternommen; ein paarmal mit dem FDGB-Feriendienst ins Erholungsheim am Fichtelberg in Oberwiesenthal, einen Plattenbau, der wie eine Fata Morgana hinter alten Holzhäusern am Hang klebte; einmal zwei Wochen Schwarzmeerküste, Kaukasus, Sotschi, Sochumi; fast tausend Mark hatte sie das gekostet, und nach drei Tagen hatten sie einen scheußlichen Durchfall bekommen. Jetzt betrat er ein Reisebüro in Halle und ließ sich von

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