Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
einem jungen Mann mit abstehenden Ohren eine halbe Stunde lang beraten. Dann buchte er eine Fernreise für sich und seine Frau: Indischer Ozean, Vollpension, Zimmer mit Meerblick.
Ein paar Wochen später kamen sie dort an. Seine Frau war begeistert: von den Palmen, von der Größe der Früchte, den Kokosnüssen und Papayas, von den weißen Sandbuchten, dem Bungalow am Rand der Resortanlage, von der Musik, die sie am Hotelpool spielten – einfach von allem. Einen Tag lang verharrten sie in diesem Standbild tropischen Glücks und konnten es nicht fassen. Sie verbrachten den Tag im Resort und am Strand, das Wasser war warm, Ilse sprang in einem knallgelben Bikini im Wasser herum und redete wirres Zeug über das Paradies.
Abends gingen sie, unsicher wie gestrandete Meerestiere, in neugekauften weißen Hosen ins Restaurant, bekamen verwirrende Mengen von Bestecken und eine englischsprachige Speisekarte hingelegt. Ein Kellner tauchte auf und stellte ihnen hartnäckig Fragen, die sie nichtrecht zu beantworten wussten – ob man ein Horsd’œuvre wolle, einen Aperitif, à la carte esse und so weiter. Radonovicz zeigte Anzeichen von Stress. Er hielt es für das Beste, sich hinter der Karte zu verstecken und den Kellner einfach zu ignorieren, bis dieser wieder gehen würde. Der Kellner wartete eine Minute mit leicht schief gelegtem Kopf, dann zog er unverrichteter Dinge wieder ab.
Später bestellte Radonovicz zwei Steaks.
Am Nebentisch drehten sich vier neugierige Köpfe um .
Es waren zwei Ehepaare aus Minsk. Den weiteren Abend verbrachten Radonovicz und seine Frau mit den Russen an der Bar. Sie tranken sehr viel und fanden ihren Bungalow erst nach einer Stunde wieder; die Wohnanlage neben dem Hauptgebäude bestand aus achtzehn baugleichen Bungalows, die sich wie Perlen einer Kette halbmondförmig an der weißen Sandbucht aneinanderreihten. Auch am Indischen Ozean bleiben gewisse Probleme bestehen, etwa die Plattenbau- und Reihenhausbewohnern hinlänglich bekannte Frage, welche der achtzehn baugleichen Eingangstüren in den eigenen Block führt.
Am nächsten Morgen gegen sieben Uhr wurde Radonovicz wach, weil erstens die Vögel – große, bunte Vögel mit ruckenden Köpfen – einen furchtbaren Radau machten und zweitens eine ungewohnte Hitze durch das halbgeöffnete Fenster kroch. Ilse beschloss, einen Tauchkurs zu belegen, und weil Radonovicz keine Lust auf die Einweisungskurse und die engen schwarzen Anzüge, auf Atemmasken und Sauerstoffflaschen hatte, blieb er an Land. Es war neun Uhr. Er fuhr mit einem Golfwagen durch die sengende Hitze bis zum Captain’s Cove und wieder zurück (fünf Minuten), wobei er den dicken Mann aus Bungalow 11, der ihm auf seinem Golfwagen entgegenkam, knapp grüßte. Dann versuchte er, am Strand ein Buch zu lesen, wobei ihm aber wegen der Hitze der Schweiß in die Augen lief (zwanzig Minuten). Er schwamm eine Runde (fünfzehn Minuten), beobachtete, wie eine Kokosnuss sich von einer Kokospalme löste und dumpf auf dem Sand aufschlug (drei Minuten), ging in den Bungalow, wo die Klimaanlage eine Raumtemperatur von sechzehn Grad herstellte, ging wieder nach draußen,setzte sich erneut auf seinen Golfcaddy und traf denselben Mann aus Bungalow 11, der offenbar die gleiche Umlaufbahn eingeschlagen hatte und ebenfalls ruhelos zwischen dem Captain’s Cove und seinem Bungalow hin- und herfuhr. Es war Viertel vor zehn. Der Dicke winkte erfreut und entstieg seinem Golfwagen. Er streckte Radonovicz eine breite, behaarte Hand hin und rief: »Hi, I’m Dan! Pleasure to meet you. Where are you guys from?«
Radonovicz starrte auf die behaarte Hand, die zwischen seinem Bauch und dem Lenkrad in der Luft hing, hob den Blick zu dem Gesicht, in dem auf einer scharfkantigen Nase eine neonfarbene Sonnenbrille balancierte. Seine Golfkarre ließ ein blökendes Geräusch vernehmen, offenbar war die Batterie alle. Der faltige Hals des Mannes ragte aus einem XXL-Shirt von Polo Ralph Lauren heraus.
»Germany.«
Dan nötigte Radonovicz an die Strandbar, bestellte zwei Gin Tonic (kein Problem, erklärte er mit einem heiseren Lachen, es sei schon nach zehn) und begann mit der Schilderung seines Werdegangs: Er hatte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in Idaho ein Unternehmen gegründet, das Handtaschen und Portemonnaies herstellte, jetzt produzierte seine Firma vor allem in Schanghai; er lobte die Arbeitsmoral der Chinesen, nicht ohne zu betonen, dass sie eine Gefahr für die Wirtschaft der
Weitere Kostenlose Bücher