Faith (German Edition)
Höhen erreichte, von denen Annabelle und Leathan nur träumen konnten.
In seltener Übereinstimmung hatten sie dieses Unvermögen bis jetzt verborgen.
Annabelle schüttelte ihre missgünstigen Gedanken ab und wandte sich wieder der dringenderen Frage zu, was die Alte so zufrieden hatte aussehen lassen.
Sie sah hinunter auf das unruhige Meer und erkannte, dass es schon wieder einen Teil des weißen Sandstrandes ausgewaschen hatte. Täglich raubte ihr das steigende Wasser ein Stück davon.
Sie dachte an den „Vergessenen Fluss“, der sich in die neu entstandene Kluft ergoss. Er musste das Meer erreicht haben. Jetzt schon hatte er große Teile des Flachlandes unter Wasser gesetzt.
Sie dachte voller Wut, aber auch Furcht, daran, dass durch Leathans unvernünftige Gier all ihre Besitztümer zerstört werden könnten.
Wie gewöhnlich schob sie die Schuld an all dem auf ihren Bruder, ohne ihre eigene Schuld auch nur einen Moment in Betracht zu ziehen. Auch sie war gierig auf das Gold, das Silber und die Metalle, die Leathan der Erde entriss.
Augenblicklich lag ihr geliebter honigfarbener Palast mit den goldenen Spitzen auf silbernen Kuppeln noch ein gutes Stück über dem Meer.
Aber wie lange noch?
Weit draußen, auf dem aufgewühlten Wasser, erspähte Annabelle einen blassen Körper, der schwerfällig auf den Wellen taumelte. Immer wieder verschwand er in Wellentälern, um gleich darauf, ein Stück näher, wieder aufzutauchen. Als der bleiche geisterhafte Leib von den Wogen wieder aus einem Tal hervorgehoben wurde, erstarrte sie.
Sie tobte. Annabelle stieß grässliche Flüche in das nasse Grab hinaus, als sie ihren Lieblingshengst erkannte. Aber der wilde glühende Zorn war durchtränkt von abgrundtiefer Trauer.
Trauer hatte Annabelle bis jetzt nicht gekannt, zumindest nicht zugelassen. Diesmal war es anders.
Sie würde ihren Bruder bestrafen, schwor sie sich.
Roberts Abschied
„Ich möchte mich verabschieden.“
„Verabschieden?“
„Faiths Freunde sind auch meine Freunde, ich denke, sie sollten wissen, wohin ich gehe. Sie haben so viel für uns getan und durch uns gelitten. Ich will sie nicht im Ungewissen lassen. Auch die Direktorin würde sich fragen, wo ich geblieben bin.“
Magalie lächelte ihn an.
„Du bist also fest entschlossen?“
Ihr Lächeln zerriss ihm das Herz. Er sah die tiefe Sorge um ihn in ihren schönen Augen. Sie versuchte, ihre Angst zu verbergen, die mit der verzweifelten Hoffnung rang, dass es gelingen möge, ihn zu retten.
„Soll ich dich begleiten?“
Noch nie hatte sie diese Frage gestellt. Es war immer klar gewesen, dass Magalie sich den Menschen nicht zeigte, nicht einmal seinen engsten Freunden.
Sie war viele Jahre lang seine Gefährtin gewesen, ohne sein Leben wirklich zu teilen. Nah und doch fern, waren ihre Welten immer getrennt geblieben, bis heute.
Sie las, was in ihm vorging. Oft hatte er sie gebeten, bei ihm zu bleiben, mit ihm zu gehen. Aber Magalie wollte und konnte die Anderswelt nicht verlassen. Seit Leathan das Zeichen der Macht geraubt hatte, war ihre Welt gefährdet. Sie musste Verantwortung übernehmen. Immer wieder war diese Tatsache Teil ihrer Auseinandersetzungen mit Robert gewesen.
Oh ja, sie hatten erbittert gestritten.
Robert hatte zwar verstanden, dass sie ihren Pflichten als Fürstin nachkommen wollte, sich aber dennoch gewünscht, sie an seiner Seite zu haben. Ihre Liebe zueinander hatte all diese Streitereien überstanden. Nichts außer dem Tod würde sie trennen können, das wussten beide.
Würde er den Mut aufbringen, durch die Feuersäule zu gehen? Robert fragte sich das zum tausendsten Mal.
Wenn er in der Höhle hinter den Wasserfällen allein mit dem Feuer wäre, würde er es schaffen, den einen Schritt zu tun, der ihn retten oder gänzlich vernichten konnte?
Er wusste es nicht.
„Du könntest auch alle hierher einladen. Das Wetter ist herrlich, wir machen ein Picknick im Grünen.“
Erwartungsvoll strahlte sie ihn an. Ihre kindliche Freude rührte ihn.
Magalie hatte die wunderbare Gabe, die Gegenwart zu verzaubern, ihn seine Ängste für Momente vergessen zu lassen.
Warum nicht. Er würde auch Madame Agnes, Schwester Dagmar und Dr. Dr. Schrader dazu bitten.
So konnte er allen erklären, dass er noch einmal in die Anderswelt gehen würde.
Den wahren Grund allerdings wollte er ihnen verschweigen. Sie sollten glauben, dass er Faith dort nicht allein lassen wollte.
Die Flucht
Faith schlich durch die unbeleuchteten hohen
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