Faith (German Edition)
Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky hatte keine Zweifel an der Aufrichtigkeit von Madame Agnes. Dennoch, wenn die Übereinstimmung mit dem, was Christian und Ben erzählt hatten, nicht so groß gewesen wäre, hätte sie kein Wort geglaubt. Und Richard?
Sie wusste so gut wie nichts über ihn.
Er hatte sich selbst angemeldet. Da er schon achtzehn Jahre alt war, hatte es keine Probleme gegeben.
Das Schulgeld wurde pünktlich überwiesen.
Über seine Eltern sprach er so gut wie nie.
Er hatte seinen Vater erwähnt, aber er war so zurückhaltend gewesen, dass die Direktorin mit ihren Fragen nicht weiter in ihn gedrungen war.
Ein großer Teil ihrer Schüler kam aus reichen, oft zerrütteten Familien, und so schob sie seine Distanziertheit auf diesen Umstand.
Richard war ein intelligenter Schüler, der verblüffend schnell lernte, aber auch überraschende Wissenslücken an den Tag legte.
So hatte er erstaunlicherweise anscheinend keine Ahnung von dem Umgang mit dem Internet. Er hatte, als er ankam, nicht einmal einen eigenen Computer mitgebracht, und er besaß kein Handy.
Ohne Handy, ein undenkbarer Zustand!
Und ohne einen Internetzugang zu sein, wäre für alle anderen Schüler einem Supergau gleichgekommen.
Die beiden Frauen sahen sich hilflos an. „Was können wir tun?“ Madame sprach aus, was die Direktorin dachte.
„Wenn die Kinder und Robert sich in einer anderen, normalerweise unsichtbaren Welt befanden, wird es kaum nützlich sein, die Polizei zu benachrichtigen.“
Andererseits: Müssten sie nicht jede Hilfe in Anspruch nehmen?
„Niemand wird uns glauben.“
„Also erst mal keine Polizei?“
Die Direktorin nickte.
Allein
Wieder liefen die Wölfe unruhig über die Felsen. Leathans Unruhe übertrug sich offenbar auf die Tiere. Nur der Graue mit der Narbe saß, geduldig abwartend, neben ihm.
Nicht einer der anderen Wölfe besaß einen so muskulösen Körper wie er. Murat war ganz sicher das stattlichste Tier des ganzen Rudels.
Er war unverkennbar der Leitwolf. Er wirkte überlegen und unabhängig. Er sah Richard unverwandt an.
Ein Alphatier.
Einen Moment schien es, als ob der Junge und der Wolf sich etwas mitteilten. Robert schloss einen Augenblick verwirrt die Augen.
Die Artisanen hatten offenbar wieder mit der Arbeit begonnen. Man hörte den Hall der Hämmer, durch die Felsen wie ein Echo vervielfacht, die gleichmäßig das glühende Metall für die Brücken bearbeiteten.
Frauen und Kinder trugen erkaltete Eisenteile zu den Orten, wo sie eingebaut werden sollten.
Leathan sah Richard argwöhnisch an.
„Solltest du nicht eigentlich in deiner Schule sein?“
„Wir hatten Ferien.“ Richard war unruhig.
„Ihr hattet Ferien, ganz recht, aber nun, mein Sohn, wird es Zeit für dich, wieder in dein geliebtes Internat zurückzukehren.“
Richard wurde blass.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Vater sich dafür interessieren würde, ob er zur Schule ginge, geschweige denn wusste, wann seine Ferien endeten. Und an Leathans perfiden Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass der wahre Grund für seine plötzliche Sorge um seine Ausbildung ganz woanders lag. Er wollte Robert isolieren.
„Ich halte es für keinen glückliche Umstand, dass du hier in den Feenkaminen herumläufst. Es war dein Wunsch, in die Schule zu gehen, also wirst du pünktlich dorthin zurückkehren.“
Leathan hob Einhalt gebietend die Hand, als Richard antworten wollte.
„Warte hier, bis ich zurück bin.“
Als Leathan in der nächsten Schmiede verschwand, hockte sich Richard vor den Wolf und sah ihn eindringlich an.
Robert hatte wieder den Eindruck, dass die beiden miteinander kommunizierten.
Robert graute bei dem Gedanken, hier in diesem Felsgewirr alleine bleiben zu müssen. Seine Chancen zu fliehen waren ohne Richard gleich Null. Das hatte natürlich auch Leathan erkannt.
„Hör mir zu.“ Richard riss ihn aus seinen Gedanken.
„Faith, Adam und Jamal sind bei Annabelle, dort sind sie vorerst in nicht allzu großer Gefahr. Du weißt, wer Annabelle ist?“
Robert nickte. Magalie hatte von ihr gesprochen. Sie hatte sie geschildert als eine machthungrige Frau mit einer unbändigen Gier nach Perfektion, der sie alles unterordnete. Dieser Sucht nach Schönheit und Reichtum würde sie alles opfern. „Vermutlich auch Faith und die beiden Jungs“, dachte er.
„Woher weißt du, dass Faith, Adam und Jamal bei ihr sind?“
„Frag jetzt nicht.“
Richard wickelte in aller Eile das Seil, das er bei sich trug, ab
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