Faith (German Edition)
ließen sich schwer vereinbaren.
Er musste sich entscheiden, nein, er hatte sich schon entschieden, aber gerade das machte ihm offenbar schwer zu schaffen.
„Er war vielleicht kein guter Vater, aber er und Annabelle sind meine ganze Familie.“
Richard fuhr nervös mit allen zehn Fingern durch seine schwarzen Locken.
„Aber das, was er Robert antut, ganz zu schweigen von dem, was er mit Faith anstellen wird, kann ich nicht akzeptieren.“
„Dein Vater, Richard, ist nicht deine ganze Familie.“
Die Direktorin wies jetzt auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Richard setzte sich.
„Ich habe heute mit einer Dame gesprochen, die mir eine sehr ungewöhnliche Geschichte, ihre eigene, erzählt hat. Sie hat dich auf einem Foto gesehen. Sie glaubt, dass du ihr Enkel bist.“
„Aber meine Großmutter ist tot.“
„Nicht, wenn es stimmt, was Madame Agnes mir heute erzählt hat.“
„Meine Mutter hieß Agnes.“
„Die Mutter deiner Mutter auch.“
Richard schluckte. „Ist sie hier, hier in Waldeck?“
„Ja, und du solltest sie so schnell wie möglich kennenlernen. Ihr größter Wunsch ist, dich wiederzufinden. Ich werde mit ihr telefonieren, um sie vorzubereiten. Schließlich kann auch eine gute Nachricht einen Schock auslösen.“
Zwei Stunden später saß Richard bei Madame Agnes in deren anheimelndem Arbeitszimmer, das gleichzeitig ihr Salon war.
Auf dem achteckigen Biedermeiertischchen vor dem bequemen Sofa standen zwei zierliche Teetassen mit blauem Blümchendekor. Auf dem kalt gewordenen Tee hatte sich bereits eine ölige Schicht gebildet.
Madame und Richard steckten die Köpfe in ein Fotoalbum. Es gab nur einige wenige Fotos von ihm. Er war schon mit dunklen Locken geboren worden und schaute aus hellen Augen in die Welt.
„Sieh mal, das ist ein Foto deiner Mutter, als sie ein Baby war.“
Richard nahm das Foto in die Hand. Die Bilder ähnelten sich wirklich sehr.
Es war warm im Zimmer und Richard schob die langen Ärmel seines T-Shirts hoch. Als er Madame das Foto zurückgab, zuckte sie zusammen und hielt seine Hand fest.
„Du besitzt das gleiche Zeichen wie Agnes. Auch sie hatte ein Muttermal in Form eines kleinen Halbmonds auf dem Unterarm. Es gibt keinen Zweifel, Richard, dass du mein Enkel bist.“
Konzert
Auf grünen Wiesen grasten golden schimmernde Rinder unter spätsommerlicher Sonne. Es hatte Stunden gedauert, bis Adam und Jamal das Hochplateau des Berges erreicht hatten. Unter ihnen lag eine schier endlos weite, von Wasserläufen durchzogene fruchtbare Ebene. In der Ferne ragten die Ruinen einer Festung in den strahlend blauen Himmel.
Adam ließ sich auf die Erde fallen. Jamal setzte sich neben ihn, um zu verschnaufen.
Als sie sich umsahen, stellten sie fest, dass sie nicht alleine waren.
Aus braungebrannten freundlichen Gesichtern wurden sie neugierig betrachtet. Jetzt erst nahmen sie die Ansammlung von kleinen Holzhäusern wahr, die fast völlig mit ihrer Umgebung verschmolzen. Ein Dorf mit Vorratshäusern, die Dächer aus Stroh oder Schilf.
Von dort mussten die Beobachter gekommen sein, die nun erwartungsvoll und neugierig um sie herumstanden.
Zwei kleine Jungen standen so plötzlich vor ihnen, als habe sich der Boden geöffnet.
Der eine trug einen Wasserkrug, der andere hielt vorsichtig die gefüllten Becher in den Händen. Dankbar tranken Adam und Jamal das eiskalte Wasser.
„Wer seid ihr? Und wo kommt ihr her?“ Jamal sah den Mann, der so plötzlich erschienen war, beunruhigt an.
Die Stimme des Fragenden war eigenartig hoch und dabei so brüchig, als habe er lange nicht mehr gesprochen.
Irgendetwas konnte mit seinen Stimmbändern nicht in Ordnung sein.
„Ich bin nicht krank, meine Stimmbänder sind ganz in Ordnung“, sagte der. „Aber wir Zwiesel sprechen nicht oft miteinander. Wir verständigen uns meist durch Gedankenübertragung. Deswegen sind unsere Stimmen ungeübt.“
Mit dieser Erklärung lieferte er den Jungen gleich den Beweis dafür, dass er ihre Gedanken tatsächlich lesen konnte. Jamal hatte seine Besorgnis über den Zustand der Stimmbänder des Mannes schließlich nicht laut ausgesprochen.
Adam und Jamal schilderten jetzt abwechselnd, was sie erlebt hatten.
Sie sprachen von Annabelles Palast und ihrem grausamen Entschluss, sie aufs Meer hinauszuschicken, um sie dort gnadenlos ihrem Schicksal zu überlassen.
Sie schilderten die abenteuerliche Bootsfahrt im Schlepp der Adler.
An dieser Stelle klatschten sich die Zwiesel vor Vergnügen auf die
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