Faith (German Edition)
sage.“
Annabelle schäumte.
Die Reife hatte ihr Spiel unterbrochen.
„Dies ist nicht die Welt, mein Kind, die Annabelle dir präsentieren will. Sie möchte dir vorgaukeln, dass es hier nur Glück, Schönheit, Jugend und Reichtum gibt.“
In Annabelles Gesicht kämpften Wut und eine gehörige Portion Furcht miteinander. Es verschlug ihr für einen Moment die Sprache.
„Sie glaubt“, fuhr die Alte fort, „dass ausschließlich Luxus und Reichtum, auch für dich, Faith, erstrebenswert sind. Du sollst ihr helfen zu bekommen, was sie sich wünscht. Sie blickte um sich. „Von diesen Dingen hier solltest du gar nicht erfahren.“ Sie sah Annabelle aus klugen jadegrünen Augen an und nahm ungerührt ihr Spiel wieder auf.
„Wir gehen.“
Annabelle hatte sich wieder gefangen.
„Und du“, wandte sie sich noch einmal der Harfenspielerin zu, „halt in Zukunft den Mund!“
Faith hielt den Atem an. Wie konnte man so mit einer alten Frau sprechen? Faith brachte den Menschen normalerweise Respekt entgegen, Annabelle indes hatte diesen gerade verspielt.
Wer war wohl diese Frau, die so wunderbar Harfe spielte? Woher kannte sie ihren Namen? Sie ahnte, dass sie von Annabelle keine Antworten auf diese Fragen bekommen würde. Sie nahm sich vor, noch einmal durch den grauen Tunnel zu gehen.
Jetzt liefen sie und Lisa hinter Annabelle her, die stur geradeaus blickend den Weg zum Tunnel einschlug. Es machte fast den Eindruck, als sei sie auf der Flucht.
Bezaubernd war das Wort, das Faith einfiel, als sie mit Lisa hinter Annabelle einen vollkommen verspiegelten, zum Garten hin offenen Raum betrat. Die silbergerahmten, bis zur Decke reichenden Spiegel waren so angeordnet, dass sich dieser Garten in ihnen tausendfach vervielfältigte.
Ein in tiefem Indigoblau leuchtender runder Teich bildete das Mittelstück der Gartenanlage. Symmetrisch angelegte Wege waren mit schneeweißen Kieselsteinen bestreut. Rosenhecken, voller cremefarbener Blüten flankierten die Pfade. Ihr süßer Duft lag wie ein zarter Schleier in der Luft. Hohe blühende Mandelbäume tauchten dieses Paradies in rosafarbenes Licht unter ihrem sonnendurchfluteten schützenden Dach.
Ein runder, aus blauem Stein gehauener, glänzend polierter Tisch bildete innerhalb des kleinen Saales das Gegenstück zu dem Teich da draußen. Brot, Obst, Nüsse und Käse sowie ein herrlich duftender geräucherter Schinken standen auf der üppig gedeckten Tafel. Faith und Lisa merkten erst jetzt, wie hungrig sie waren.
Annabelle setzte sich. Heute trug sie einen dunkelblauen, beinahe schwarzen Anzug. Dazu silberne Sandaletten und ein ganzes Arsenal von langen Ketten aus Weißgold, Silber und Platin um den Hals, die bei jeder ihrer Bewegungen klirrend aneinanderschlugen. Lisa nahm jede Einzelheit wahr, sie hätte Annabelle gerne diese ganze oberflächliche Perfektion um die Ohren gehauen. Sie dachte an die Alten hinter dem grauen Tunnel und an Annabelles hochmütige Selbstgerechtigkeit der alten Frau gegenüber.
Andererseits war sie verflucht hungrig.
Annabelle lächelte, als sie beobachtete, mit welchem Vergnügen Faith und Lisa die angebotenen Speisen genossen.
Annabelle aß nichts. Sie trank auch nicht den stark gesüßten Tee.
Diese Kinder. Wie leicht ließen sie sich doch manipulieren. Sie würden vergessen, was sie gesehen hatten, und dann wüsste sie sich der Mädchen zu bedienen. Wenn sie sich ein Leben ohne Reichtum und ohne Pflichten, dafür aber mit der Aussicht auf ein beinahe unendliches Leben, nicht mehr vorstellen konnten, hätte sie, Annabelle, in Faith eine sehr effiziente Waffe gegen Leathan. Oh ja, Leathan würde sich ihr fügen müssen.
Faith fühlte sich sonderbar leicht, als sie mit Lisa zusammen den Garten betrat. Sie sahen den spielenden Kindern zu, die mit den Silberfüchsen tobten. Die Mädchen hätten keines der Kinder vom anderen unterscheiden können.
Alle waren von geradezu ätherischer Schönheit und strahlten eine ungeheure Sorglosigkeit aus.
Was sie von Menschenkindern unterschied, waren einzig die auffallend spitzen Ohren, die niedlich zwischen den weißblonden Haaren hervorlugten. Ihr Lachen war so ansteckend, ihre blauen Augen so strahlend. Faith und Lisa rannten, allen Kummer vergessend, mit diesen glücklichen Geschöpfen um die Wette.
Im Inneren des Spiegelsaales stand Annabelle. Ihre violetten Augen funkelten spöttisch und zufrieden.
Leichtes Spiel.
Im Gewächshaus
Christian wartete vor der Tür zum Speisesaal auf Lara. Es war
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