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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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allem Unglück nur
unansehnliche Geldkassetten im Schaufenster, weil man dort auf irgendwelche
Probleme mit der Statik der Fußböden gestoßen war. Ein Tresor soll sich sogar
eigenständig durch den Fußboden in den Keller verdrückt haben. Eine
Sparkassenfiliale blieb der Bevölkerung als einzige erhalten - das muffige
Geldgetue an deren Schaltern ging uns Nicht-Erwachsene aber noch nichts an.
    Die
Rückseiten der stehengebliebenen Häuser wurden irgendwann neu verputzt und
gestrichen, schäbig und schamhaft sind sie aber trotzdem für immer geblieben.
Mich macht ihr Anblick jedenfalls bis heute wütend. Die Zeit, in der ich mich
beim Klettern über die Hofzäune unvorstellbar dreckig machen und
Rückzugsmöglichkeiten hinter irgendwelchen suppenden Mülltonnen gebrauchen
konnte, ging allerdings schon bald nach der Schändung und Zerschneidung meiner
Gegend zu Ende. Und irgendwann wollte ich meine Zeit fast ausschließlich mit
meiner Clique und für alle Spießer gut sichtbar verbringen - lieber auf einem
Bürgersteig als in einem Hof und möglichst dort, wo ich gemeinschaftlich stören
und bewußt provozieren konnte.
    Der
Stubenhocker Petr Skopka blieb natürlich weiter mein Freund und war wie gewohnt
immer schwer beschäftigt. Er hatte inzwischen kaum Zeit, parallel zu seinen
Stubenaktivitäten auch noch draußen im Freien Unfug zu treiben. Außerdem hatte
er drei kaputte Finger. Wir trafen uns aber auch in früheren Phasen unserer
Freundschaft manchmal längere Zeit gar nicht, sahen uns nur in der Schule. Das
lag unter anderem daran, daß Skopka riskante Aktionenmit übertriebenem
Körpereinsatz immer schon mißbilligt hatte. Auch aus einem ganz praktischen
Grund - wegen seiner starken Brille war er viel zu lahm und langsam. Bei
anspruchsvolleren Kommandounternehmen wollte ihn deswegen niemand dabeihaben.
Zu einem Bruch kam es zwischen uns beiden trotzdem nie. Kurioserweise verrieten
wir in der Schule beide niemals restlos, wie viele Gemeinsamkeiten uns
eigentlich verbanden. In der Cliquenzeit entfremdete ich mich meinem lieben
Petr leider noch etwas mehr, viel mehr, als unserer Freundschaft guttat. Petr
war für die clique-üblichen Umgangsarten psychisch aber wirklich nicht passend
gerüstet. Und ich hätte ihn wegen des sich abzeichnenden Sitten- und
Fleißverfalls dort sowieso nicht gern als Zeugen gehabt.
    - Ihr
steht die ganzen Nachmittage nur so herum, ist das nicht langweilig, Georg?
    Er
verabscheute Herumlungern wie die Pest. So reiften wir beide noch etwas
unabhängiger voneinander als in der Vergangenheit, verloren uns aber trotzdem
nie aus den Augen. Manchmal tauschten wir uns auf dem Schulweg aus - intensiv
und wie unter Zeitdruck; Skopas Aufklärungskampagne, bei der reichlich
Vaginalduft aufgewirbelt worden war, lag weit hinter uns. Die Themen wechselten
sich schnell ab, und ich war froh, als Skopka wieder einmal schwach wurde. Er
hatte als aufmerksamer Beobachter der Realität bemerkt, daß der auf den
Hinterbeinen stehende Löwe im tschechoslowakischen Staatswappen außer einem
Doppelschweif am Hintern auch vorn einen fast richtigen kleinen, allerdings
hodensacklosen Schwanz hatte - getarnt in Form eines Fellzipfels. Der auf
Kontinuität bedachte Skopka pflegte noch immer seine schon in der frühen
Kindheit angelegte Briefmarkensammlung, und so konnten wir die wechselnde
Gestaltung des tschechischen Löwen mit einer Lupe studieren. Wir waren
erleichtert, daß niemand auf die Idee gekommen war, den tierischen Penis durch
das slowakische Wappen oder den fünfzackigen Stern zu verdecken. Für Skopka war
es ein besonderes Ereignis, als unser Arbeiterpräsident Novotny eines Tages
überraschend zum schönsten Staatsmann der Welt gekürt wurde. Auf den
Briefmarken sah er wirklich wie ein Edelmann aus. Diese Auszeichnung hatte ihm
zwar nicht die UNO, die WHO oder UNESCO verliehen, sondern ein internationaler
Philatelistenverband, aber immerhin. Skopkas Stolz auf unser Land fand ich in
diesem Zusammenhang etwas übertrieben, auch weil unser Präsident eher als eine
dumme Witzfigur angesehen wurde. Im Parteijargon hieß er sogar »Das blasse
Nichts«. Aber bei allen unseren Differenzen - Petr und ich gingen miteinander
immer vorsichtig und respektvoll um. Und er war seinerzeit beispielsweise froh,
daß ich nie ein festes Mitglied der allseits verschrieenen Affenbande geworden
war.
    Als meine
Cliquenzeit anbrach, gab es die berüchtigte Affenbande nicht mehr. Lange Jahre
hatte ich mich allerdings - fast

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