Faktor, Jan
Barrieren, kamen dank
irgendwelcher Mülltonnen, Garagen- und Schuppendächer, an den Teppichstangen
entlang oder über dauerhaft aufgebaute Stützgerüste immer problemlos weiter.
Wir waren
nie wirklich zu fangen und schwer einzuschüchtern. Wenn man uns in den
Hausfluren oder aus den Fenstern anbrüllte, waren wir am Ende der
Schimpfkanonade schon längst auf einem der benachbarten Grundstücke. Wir
konnten uns meistens zwischen mehreren unterschiedlichen Fluchtrichtungen
entscheiden, in größter Not waren wir außerdem in der Lage, durch die dichten
Kronen der auf der Mittellinie wuchernden Büsche zu schwimmen. Das machte auch
die verbissensten Verfolger oft sprachlos - dabei wäre besonders hier ein
Lamento mehr als angebracht, weil bei diesem Rudern im Grünbereich Unmengen an
kleinen und größeren Ästen zu Bruch gingen. UnserHauptfeind und der Hauptgrund,
die Tauglichkeit unserer Fluchtwege regelmäßig zu prüfen, war der freiwillige Parkwächter
und Helfershelfer der Polizei, der von uns DER LEDERNE genannt wurde. Er trug
das ganze Jahr über einen - wie wir dachten - von der Gestapo abgestaubten
Ledermantel, der allerdings eher grün als blauschwarz war. Die schlimmste Waffe
des Ledermannes waren sein Jagdfernrohr und seine auf Hunderte von Metern
nervtötende Trillerpfeife. Auf dem Grasbuckel des Stadttors waren wir vor
seinem Fernrohr beispielsweise nur hinter den Sträuchern und breiten
Schornsteinen sicher.
Der
staatsbrutale Angriff gegen unser Bandenwesen und die heilig-heilen Innenhöfe
kam vollkommen unerwartet. So etwas wie eine Bürgerbefragung gab es zu diesem
Großvorhaben am VIERTEN HORN meines Fünfzacks selbstverständlich nicht. Die
Verkehrsader von Prag 6, der »Boulevard der Verteidiger des Friedens«, war für
den zunehmenden Verkehr in einem Abschnitt zu eng geworden - und Schuld an
dieser langgezogenen Abwürgung hatten unter anderem auch zwei von unseren
beliebtesten Häuserkarrees. Hier staute und sammelte sich alles, was in die westliche
Richtung, also zu den Außenbezirken und auf die Ausfallstraßen hinauswollte.
Das gleiche galt natürlich für den in die Stadt einfallenden Gegenverkehr. Die
Zeit drängte.
Bei einer
der Engstellen handelte es sich ausgerechnet um den geschäftigsten Ort unserer
Gegend. Dieser Abschnitt des Boulevards bestand vorwiegend aus dreistöckigen
Bürgerhäusern aus dem neunzehnten Jahrhundert, in ihnen residierten alle unsere
wichtigen Geschäfte. Die Bürgersteige waren aus Raumnot eng und quollen dauernd
über. Hier befanden sich die Fleischerei, der Bäcker, der Friseur, die
Konditorei, der Feinkostladen, die Schreibwarenhandlung, die Apotheke, zwei
Kioske und vieles mehr. Zum Beispiel auch ein spezieller Laden, der für uns
viel wichtiger war alsdie Konditorei und der ausschließlich Bonbons und andere
trockene Süßwaren führte. Natürlich war hier auch die Drogerie, in der wir uns
mit den meisten Zutaten für unsere Wurfbomben versorgen konnten. Und mein
geliebter Stoffladen gehörte zu diesem Ensemble und versorgte mich und meine
Cousine mit billigen Stoffen, als wir uns das Nähen mit der fußbetriebenen
Nähmaschine beibringen wollten. Das Schaufenster des Optikers ging mich nichts
an - ich hatte gute Augen -, um so mehr interessierte mich das Miedergeschäft
und das Geschäft mit orthopädischen und medizinischen Hilfsutensilien. In die
letztgenannten Läden sind ich und meine Freunde allerdings nie eingetreten.
Daß der
»Boulevard der Verteidiger des Friedens« zu eng war, fiel den Stadtplanern
schon in den dreißiger Jahren auf, als dieser Boulevard noch Belcredi-Straße
hieß. In den dreißiger Jahren hatte man aber schon an unser aller Zukunft
gedacht und zwei Neubauten um etwa acht Meter zurückgesetzt. Die Nischen, die
vor diesen weiterhin modern wirkenden Häusern entstanden waren, waren Orte der
Ruhe und der Ausdehnung, im Sommer hatten sie dank der kunstvoll gestutzten
Zierbäume fast etwas Mediterranes. Der Pedikör, Herr Bamsa, lud bei schönem
Wetter seine Damen hinaus aus seinem Laden und plazierte sie auf Stühle, die er
auf dem Bürgersteig in eine Reihe stellte. Man sah dort oft mehrere zufriedene
Frauen mit nackten Beinen sitzen, ihre Füßen steckten in emaillierten
Waschschüsseln mit warmem Wasser - und man stellte sich bildhaft vor, wie ihre
überschüssige Hornhaut quoll und immer heller wurde. Herr Bamsa benutzte zum
Sitzen eine niedrige gepolsterte Fußbank. Er arbeitete abwechselnd und
unterschiedslos gründlich
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