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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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westlichen
Armeen, erwartete nach dem Krieg ein ähnliches Schicksal - sogar auch ohne
jegliche Beteiligung am neuen Widerstand. Die Verfolgungswelle begann gleich
nach der 48er Machtergreifung - die Offiziere wurden verhaftet, gefoltert, außergerichtlich
oder gerichtlich umgebracht; die Verschonten in die Armut getrieben, entehrt,
vergessen. Nur ein Teil setzte sich ab. Die vakanten Offiziersposten wurden
anschließend mit in Schnellkursen ausgebildeten jungen Kommunisten, möglichst
Arbeitersöhnen besetzt.
    In meiner
Zeit lagen alle Kriege dieser Erde in weiter Ferne, und ich konnte mir nie
vorstellen, daß die an mir vorbeischlendernden Kampfausbilder oder gar ihre
Kampflehrlinge anderen Menschen weh tun könnten, es sogar gern wollen sollten.
Trotzdem - sie waren tagtäglich genau mit solchen und noch schlimmeren Dingen
beschäftigt. Die einen leiteten die anderen an, trieben sie vor sich her, gaben
ihr auslöschendes Können weiter. In meiner unmittelbaren Nähe wurden pausenlos
Kriegsszenarien simuliert, Siegeschancen durchgerechnet, Menschenmassen auf
Waagschalen geworfen. Der Zaun der Akademie war massiv, leicht zu überwinden,
wir betraten das Gelände trotzdem nie. Ganz in der Nähe der Akademie residierte
auch noch der Generalstab der Armee.
    Der Norden
unserer Gegend war lange Zeit - bevor die Zerstörungskommandos ankamen - ausnahmsweise
tatsächlich voller Frieden gewesen. Nur der Verkehr nahm immer mehr zu - und
mit ihm wälzten sich auf mich und meineFreunde unausweichlich bitterböse
tektonische Ereignisse heran. Diese wurden in den Köpfen zwar nicht
militärischer, trotzdem ähnlich rücksichtsloser Planer ausgebrütet.
    Unsere
Hauptverkehrsader hieß »Boulevard der Verteidiger des Friedens«, dieser
markierte die Grenze zu den nördlichen, stadthistorisch jüngeren Außenbezirken.
In diesem Gebiet nördlich des Boulevards lagen alle unsere lebendigen
Einkaufsstraßen - und der Boulevard selbst gehörte natürlich auch zu dieser
Geschäftszone. Noch weiter im Norden lagen die chinesische und ägyptische
Botschaft - und auch noch andere Botschaften -, außerdem das ruhige
Residenzgelände der Amerikaner und weiter unten meine Schule. Unten im Tal dann
der größte und älteste Prager Park Stromovka - das ehemalige Wildgehege unserer
Könige. Unmittelbar um den »Boulevard der Verteidiger des Friedens« herum lag
aber noch das, worüber ich jetzt erzählen möchte - es waren die wuchernden
Innenhöfe der großen Wohnkarrees.
    Die
Innenareale der einzelnen Häuserblocks waren viel interessanter als die offenen
Gärten oder mickrigen Höfe in meiner Straße - oder die Höfe der anderen,
teilweise villendurchsetzten und nur einseitig bebauten Straßenzüge. Das
charakterliche Innenleben der großen Häuserblocks, ihr seelischer RAUM-ATEM,
war von Straßenkarree zu Straßenkarree jeweils sehr unterschiedlich; die
planlose Gestaltung dieser Räume war mit der Zeit einfach in individuell
geprägte Verkramung ausgeartet. Für Uneingeweihte waren diese abgekapselten
Areale jedenfalls schwer zu überschauen und wirkten so gut wie unüberwindbar.
    In den
besseren, aber auch schlechteren Prager Vierteln gibt es gar keine Vorder- und
Hinterhäuser, in Prag gibt es sowieso so gut wie keine mit Wohntrakts
zugebauten Innenhöfe. In Prag hat jedes einzelne Haus seinen eigenen in der
Regel abgezäunten und mehr oder weniger dreckigen kleinen Hof, der von den
kleinen Höfen der anderen angrenzenden Häuser umzingelt ist - und die Summe
dieser disparaten Einzelhöfe bildet das gerade beschriebene, von der Außenwelt
abgeschottete Großraumbiotop.
    Die
gefühlten Eigentumsverhältnisse, die auf diesen parzellierten, trotzdem
volkseigenen Flächen damals herrschten, waren ebenfalls bemerkenswert:
archaisch, pervers kleinlich, zeitgefroren. Wenn auch dieser
schrebergartenkolonie-ähnliche Raum damals niemandem wirklich gehören durfte, er
gehörte den vielen Anrainern in ihrer Phantasie doch. Die jeweilige
halb-anonyme Menschenansammlung empfand sogar stark dümmlich ihre
Eigentumsrechte und vertrat sie unter Umständen verbissen.
    - RAUS AUS
UNSEREM HOF!!!
    Bei
unseren bandenmäßigen Unternehmungen war es in Gefahrensituationen trotz aller
physischen oder menschenhassbedingten Hindernisse nie ein Problem, quer durch
diese Höfe in eine der dahinter- oder umliegenden Straßen zu flüchten. Die
Häuser wurden am Tag nicht verschlossen, die Hoftüren auch nicht. Und wir
kannten alle Schwachstellen der vielen armseligen

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