Faktor, Jan
bekannten Rockband war, offenbarte mir in einer Kneipe seine
originäre Brötchen-Theorie. Die Bäcker stünden auch im Sozialismus unter dem
Zwang, jeden Tag Unmengen von Brötchen zu backen - und das tun sie, weil sie
auch welche essen wollen. Außerdem wollen morgens auch alle anderen Menschen
frische Brötchen essen - sonst gäbe es im Land bald gefährliche Aufstände. Und
so springe der Motor der ganzen Gesellschaft jeden Tag in der Frühe überhaupt
an, meinte mein neuer Freund. Andere Arbeiter, so wie Ingenieure, Putzfrauen
oder Wissenschaftler, wüßten dann ganz genau, daß sie auch ein bißchen würden
arbeiten müssen, um beim Bäcker am nächsten Tag wieder ihre Brötchen zu
bekommen. Sie würden nicht allzuviel arbeiten müssen, aber gerade so, daß das
wirtschaftliche Gemeinwesen, an dessen Anfang die am frühesten aufstehende
Bäckergilde stünde, am Funktionieren gehalten würde.
Der
Sozialismus funktionierte in gewissen Grenzen tatsächlich. Und tatsächlich
hatte er das der Initiative und Kraft vieler verantwortungsbewußter Menschen zu
verdanken, die nicht stillsitzen konnten, die ihre Arbeit ernst nahmen und auch
nicht zuließen, daß die antriebsschwächeren Teile der Gesellschaft mit einem
Bummelstreik das Land lahmlegten. Viele dieser Fleißigen schufteten sich dabei
- unglücklich über so viel Ignoranz und Idiotie um sie herum - regelrecht
kaputt. Sie opferten sich für einen Staat, der nicht dankbar sein konnte, der
sich selbstzerstörerisch auffraß und dessen Seele schon seit langem tot war.
nun
haben wir, was wir wollten
In den
goldenen Sechzigern belegte man etwas liberaler gesinnte Parteifunktionäre gern
mit einem paraphrasierten Friedrich-Engels-Zitat: »DER ANTEIL DER OHRFEIGE AN
DER MENSCHWERDUNG DES FUNKTIONÄRS«. Mit der allgemeinen Menschwerdung ging es
damals tatsächlich vorwärts. Und man sah nicht allzugern zurück, die blutigen
Siege sollten irgendwann doch lieber vergessen werden. Schließlich hatte unser
schöner Präsident Novotny schon im Jahre 1960 den endgültigen Sieg des
Sozialismus verkündet und damit alle Feinde des Fortschritts für abgeschafft
erklärt. Die Inhaftierten wurden nach und nach im Stillen freigelassen,
juristisch rehabilitieren wollte man sie vorsichtshalber aber nicht.
Rehabilitiert wurde in den sechziger Jahren schließlich nur eine kleine
Minderheit - die Opfer der innerparteilichen Säuberungen.
Was die
fünfziger Jahre betrifft, waren für meine Mutter und ihre Freunde höchstens die
Slänsky-Prozesse ein Thema gewesen. Dieses Justizverbrechen mauserte sich mit
der Zeit zu einer Art Vorzeige-Schattenseite des damaligen Regimes. Dabei war
Slänsky - parteiintern schon in den dreißiger Jahren »zrzavä potvora«, »DAS
ROTHAARIGE MISTVIEH«, genannt - selbst ein furchtbarer Stalinist.
Bei uns zu
Hause spielten die Verbrechen des Staates nur punktuell eine Rolle. Zum
Beispiel wenn Herr Eisler zu Besuch war, der nach seiner Rückkehr aus der
englischen Emigration verhaftet und zu zwölf Jahren wegen Spionage verurteilt
worden war. Oder wenn man einem der gebrochenen »kleinbürgerlichen Elemente«
zufällig auf der Straße begegnet war.- Er war ein großzügiger netter Mann,
hatte die ruhigsten Hände, die ich je gesehen habe. Jetzt sieht er vollkommen
durchsichtig aus.
- Wer war
das? fragte ich nach der Begegnung.
- Ich habe
in seiner Möbelfirma im Büro gearbeitet - vor dem Studium.
Meine
Mutter erzählte mir im Laufe der Jahre über einige Begegnungen dieser Art.
Manche der Menschen, die »Pech gehabt hatten«, erkannte man kaum wieder, sagte
sie. Sie würden schleichen, statt zu gehen - als ob ihr seitlich orientiertes
Humpeln mit der Gehrichtung nicht harmonieren würde.
- Ich habe
Sie beinah nicht erkannt, begrüßte meine Mutter einmal einen bekannten
Bohemisten, der als Katholik das kommunistische Regime von Anfang an nicht
angenommen und viele Jahre im Gefängnis verbracht hatte.
- Schön,
daß wir uns treffen! Bin so froh, gerade Sie zu sehen, rief Herr Professor
begeistert. Mir geht es leider nicht gut, wissen Sie, ich lebe sehr isoliert -
und weit draußen an der Peripherie. Außerdem bin ich vollkommen allein
geblieben.
- Das tut
mir furchtbar leid.
- Als ich
im Gefängnis war - vielleicht haben Sie davon gehört -, hat sich meine ganze
Familie mit Pilzen vergiftet. Ich durfte nicht mal zur Beerdigung.
- Ja,
natürlich, ich weiß das. Wir alle waren furchtbar empört. Sie haben noch viele
Bewunderer, wissen Sie
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