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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Halbgeister wohl.
Ich mußte mir jeden Tag ansehen, wie meine Mitstudenten nach den mit ordinärem
Klingeln beendeten Vorlesungen wie Herdenwesen die Treppen heruntertrampelten
und dabei vergnüglich juchzten. Und ich mußte mich dagegen wehren, mich von
ihrer Fröhlichkeit animieren zu lassen. Sie, die mehrheitlich aus der Provinz
kamen, waren voller Begeisterung auch aus dem Grund, weil sie ihren
Provinzstädten entfliehen und die Hauptstadt Prag bevölkern durften. Sie ahnten
nicht, wie grauenhaft sich Prag inzwischen verändert hatte. Ich hatte mich von
diesen Leuten nicht einmal verabschiedet, war frei und ging in das zentrale
Personalbüro des Müllimperiums.
    - Mir
gefällt die Arbeit.
    - Wir
nehmen Sie nicht.- Sie brauchen doch Leute, überall steht das.
    - Ich kann
Sie mit den Männern nicht zusammenarbeiten lassen, das stehen Sie niemals
durch.
    - Ich
schaffe alles. Das sind eben richtige Männer, ich komme dort schon klar.
    - Es kommt
nicht in Frage, Sie wissen über die Arbeit gar nichts. Man steht um vier Uhr
früh auf, alle sind etwas mürrisch. Manche Kollegen haben außerdem - ich meine
HATTEN immer wieder mal - leichte Alkoholprobleme ...
    - Mir ist
alles recht.
    - NEIN!!!
- und diese Antwort war endgültig.
    Später
habe ich es zwar doch noch geschafft, mich unter die Müllbeseitiger zu mischen,
in Prag habe ich mir aber erst einmal einen anderen Traum erfüllt. Ich wurde
Fahrer bei der staatlichen Wohnungsbauverwaltung im Zentrum unserer ergrauten
Stadt, konnte den ganzen Tag mit einem Kleinlaster herumkurven, in den engen
Straßen und auf dem wackeligen Pflaster Stadtrallye fahren, Menschen und andere
rennende Hindernisse zur Seite scheuchen. Wenn ich schlechte Laune hatte,
konnte ich das Auto, das mir nicht gehörte, nach Belieben quälen. Als ich eines
Tages eine ganze Ladung Toilettenbecken geladen hatte, wurde ich regelrecht
euphorisch. Ich hatte es fast geschafft! Ich war endlich ungefähr dort, wo ich
die ganze Zeit hatte sein wollen - auch wenn ich mit dem Dreck erst einmal nur
indirekt zu tun hatte. Meine Kloschüsseln waren unbenutzt, ich war vorläufig
noch auf der saubereren Seite des Dreckgeschäfts.
    Um mich
herum wuchsen gleichzeitig Bedenken. Nachdem ich nach der Arbeit - wie ein
richtiger Mann eben - in der einzigen ernstzunehmenden Kneipe unserer Gegend
ein großes Bier bestellt hatte, wackelte der alte Kneipier ausnahmsweise
schwermütig mit dem Kopf und sagte:
    - Du
trinkst jetzt also auch. Wie alle anderen. Wie heißt du eigentlich?
    -
Georg.Bis dahin hatte mich der sonst eher cholerische Mann nur als einen
Frischling gekannt, der an seiner strategisch einzigartig liegenden Eckkneipe -
sie liegt gegenüber dem barocken Tor und heißt bis heute »Na valech«, was so
viel wie »Auf den Schanzen« bedeutet - immer nur brav vorbeigegangen war oder
am massiv gemauerten Zaun auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit anderen
Halbstarken und ihren Bräuten stundenlang herumgestanden und sich des Lebens
gefreut hatte. Die Bedenken der Intellektuellen, die um meine Mutter schlichen,
waren noch ernster.
    - Reise
lieber aus, Georg, hau einfach ab, sagte einer immer wieder. Ihr verblödet hier
alle. Eine ganze Generation ohne Bildung, das wird grauenhaft. Nur Trottel und
politische Schleimer studieren noch. Geh in den Westen.
    Solche
Sprüche heizten in mir leider gewaltige Ängste vor Gehirnerweichung und meiner
drohenden Degenerierung an. Ich fühlte mich intellektuell tatsächlich stark
unterfordert. Ich wollte zwar Menschen und das rauhe Leben im Abseits
studieren, über das alles irgendwann auch schreiben, verblöden wollte ich dabei
aber auf keinen Fall. Meine Texte sollten Niveau haben, die Stärken von
Hemingway, Dos Passos, Saroyan, Kerouac und Hrabal vereinen und mich aus den
gesellschaftlichen Sümpfen irgendwann wieder nach oben bringen. Um nichts auf
der Welt durfte ich - eine bessere Metapher dafür gibt es für mich bis heute
nicht - zum onanierenden Schotten am Brunnenrand werden. Dieser Schotte aus
einem typischen Schottenwitz war damals in aller Munde. Der onanierende Mann
spritzt sich nebenbei Wasser aus dem Brunnen in den Mund und sagt: »Whisky und
Frauen, das ist für mich das Allergrößte.«
    Tagtäglich
konnte ich sehen, daß der Sozialismus zwar nicht besonders gut funktionierte,
trotzdem war es verwunderlich, daß er überhaupt noch funktionierte. Dazu gab es
verschiedene Theorien. Ein philosophisch begabter Brötchenausfahrer, der früher
Baßgitarrist einer

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