Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
liebte es, den zurückgesendeten
Blicken ablesen zu können, daß mein Interesse angekommen war und meine
Aufmerksamkeit, meine Hochachtung angenommen worden waren. Seltsamerweise war
diesem Spiel immer etwas beigemischt, was ich zum Glück auch noch erkannt
hatte. Als Mann besaß ich eine dümmlich-ungerechte Definitionsmacht, eine
Macht, um die ich niemanden gebeten hatte, die mir einfach aus geheimen
Naturquellen zufloß - und für die ich nie zu bezahlen brauchte. Letzten Endes
ist die Natur aber doch gnädig und auf einen Ausgleich bedacht. Beim handfesten
Geschlechterkampf setzen die Frauen mitunter schwere Waffen ein, und ich war
froh, über meine mir geschenkten Krafthebel Bescheid zu wissen. Meine Mutter
war bekanntermaßen auch keine einfache Gegnerin. Bei Machtspielen in der
Kindheit wußte ich immer von vornherein, wie diese ausgehen würden: Ich würde
schreien, bis mir der Atem wegbleiben würde, und meine Mutter - glücklich, daß
ich trotz des stumm aufgerissenen Mauls immer noch lebte - würde mich trösten.
    Wie ich
schon einmal geschildert habe, machte es mir nichts aus, gelegentlich ins
Krankenhaus eingeliefert zu werden, und ich verstand nicht ganz, warum die
meisten Menschen diese Einrichtungen so verabscheuen. Es ist an sich sowieso
seelengesünder, sich überall - eben auch im Krankenhaus - glücklich zu fühlen.
Ob man dort nun als Protektionskind oder als lästiger Greis liegt. In den
Prager Krankenhäusern tummelten sich immer schon, war mein Eindruck, Unmengen
an reizenden und interessanten Damen, die angewiesen und auch gern bereit
waren, sich um einen mit Hingabe und Begeisterung zu kümmern. Ihre
schwesterlichen Blicke waren voller Glanz und hatten wenig mit eingeübter
Professionalität zu tun. Wenn ich mir persönlich einen oder mehrere Knochen
brach oder fleischlich verletzt wurde, war ich nicht verzweifelt, sondern
bereits auf der Liege im Krankenwagen überaus froh. Ich wußte, daß man mich am
Ziel schon voller mütterlicher Vorfreude erwartete. Als ich später einmal
kollabiert war und auf dem Boden lag, fieberte ich einerseits der Rettung durch
die von mir hochgeschätzte Technik, andererseits den vielen lieben Helferinnen
entgegen. Wenn sogar mehrheitlich schöne Ärztinnen statt Ärzte an meiner Wiederbelebung
beteiligt waren, war ich im siebenten Himmel. Daß ich bei manchen meiner
Unfälle hätte sterben können, kam mir nie in den Sinn. So etwas paßte nicht in
meine Lebensplanung. Meine Retter würden es niemals zulassen, die auf mich
wartende Zukunft leer ausgehen zu lassen. Wegen dieser Zuversicht konnte ich,
wenn meine Verzweiflung allzu groß war, ohne weiteres auch größere physische
Risiken eingehen. Ich konnte zum Beispiel auf einer mehrspurigen Straße
zwischen den Autos laufen, irgendwo unterwegs aus den Straßenbahnen springen,
nachts auf meinem nicht beleuchteten Rennrad durch die Stadt rasen und mich bei
Bedarf an fahrenden Lastautos festhalten.
    Meine
Fokussierung auf die Frauen war selbstverständlich auch lästig - auch für mich,
versteht sich. Ich konnte keine Straße entlanggehen, ohne meine Glotzaugen
pausenlos in Zoombereitschaft zu halten. Ich war darauf trainiert, meine Linsen
sofort scharf zu stellen, wenn in mein Sichtfeld etwas Frauenähnliches geraten
sollte. Jegliches Nachdenken war während dieses fruchtlosen Lauerns nicht
möglich. Wenn die gewitterten Objekte endlich auftauchten, wurden sie
konzentriert auf Schönheit und auf sonstige für die Arterhaltung wichtige
Merkmale untersucht. Dabei zogich meinen Hals manchmal so in die Länge, daß es
knackte. Zusätzlich wurden die Zielpersonen ganzkörperlich ausgeleuchtet und
natürlich gleich aus irgendeinem, dem erstbesten Grund als Beute verworfen. Ich
hatte in der Regel ja etwas anderes zu tun oder wäre meistens gar nicht in der
Lage gewesen, den Mund aufzutun.
    Zum Glück
wußte ich aber, daß ich in der Glotz-Hinsicht nicht allein auf der Welt war.
Als einmal eine hochgewachsene, devisen-modisch gekleidete und stark
geschminkte junge Schönheit mit einer riesigen blonden Mähne unsere Gegend
durchquerte, sah ich, wie im Handumdrehen das Leben mehrerer Straßenzüge in
Aufruhr geriet. Es war schwer zu fassen, was eigentlich geschah, für meine
wache Person war dieses Aufhorchen eines halben Stadtteils aber nicht zu
überspüren. Alle sichtbaren Lebewesen standen plötzlich wie unter Strom und
waren voller endloser Neugier. Die komplette Menge der auf der Straße
vorhandenen Männer

Weitere Kostenlose Bücher