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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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partiellen
Widerspruch zu ihm. Für mich steht fest, daß wir Menschen so etwas wie einen
optischen, besser gesagt SEHZENTRUM-GESTÜTZTEN WITTERUNGSSINN besitzen. Ob die
Entscheidung, aufrecht zu gehen, in der Steppe oder noch auf den Bäumen fiel,
spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle - den feinen Geruchssinn der
Vierbeiner mußte derAustralopithecus, nachdem er sich aufgerichtet hatte,
sowieso ablegen. Dafür sollten unsere Vorfahren die Möglichkeit bekommen, ihre
frei gewordenen Gehirnkapazitäten für die Vervollkommnung ganz anderer
Fähigkeiten zu nutzen: Unter anderem für das möglichst sichere Spüren von
Blicken. Der Blickkontakt wurde zur differenzierten Verständigung
beispielsweise auch immer wichtiger - das Augenweiß wurde sichtbar, die
Augenbewegungen nutzte man bei der Jagd verstärkt zur lautlosen Kommunikation.
Und der Geruchssinn verkümmerte rapide weiter.
    Die Tiere
spüren - im Gegensatz zu uns Menschen - nicht unbedingt, wenn sie von den
Blicken freßgieriger Feinde verfolgt werden. Wenn der Wind günstig steht, kann
sich die jagende Löwin ihre Antilopen so lange ansehen, wie sie will. Der
Australopithecus mit seinem verkümmerten Geruchssinn mußte sich aber unbedingt
schnell umstellen, um nicht ahnungslos angefallen und gefressen zu werden. Er
mußte lernen, BLICKE ZU RIECHEN. Was der aufrechte Gang auch noch mit sich brachte,
tut einem - nebenbei gesagt - heute noch weh: Bei diesem folgenschweren Vorgang
KLAPPTEN DIE WEIBCHEN IHRE WARMEN ÖFFNUNGEN KALTMÖSIG ZWISCHEN DIE BEINE, und
die Männchen kamen nicht umhin, ihr Aggregat gefährlich vorgelagert zu tragen.
    Das
Nachdenken über meinen Gesichtssinn beschäftigte mich mein Leben lang. Ich
grübelte oft über die Probleme der Kraft und Durchdringlichkeit meiner - auch
geschlechtsindifferenten - Glotzereien nach, weil mein Glotzen den meisten
meiner Mitmenschen in der Regel nicht gefiel. Ich entdeckte bei passenden wie
unpassenden Gelegenheiten, wie unangenehm ich aufgefallen war, in manchen
Haushalten galt ich sogar als schlecht erzogen. Und nachdem ich mehrmals erlebt
hatte, daß sogar ehrwürdige Männer unter meinen Blickattacken zittrigen Respekt
vor mir bekamen, wurde ich stutzig. Zum Glück war ich nicht wirklich
überheblich und wußte, daß mir eigentlich nichts Derartiges zustand. Bei meinen
Streifzügen mit meinen ausgefahrenen Glotzorganen benahm ich mich im Grunde
unschuldig, hatte nichts Böses im Sinn, wollte niemanden einschüchtern,
provozieren oder vom Sockel stürzen. Ich wollte den Ehrenmännern, wie es
überall meine Art war, nur kurz und tief in den Raum hinter ihren Augenhöhlen
schauen. Auch physikalisch gesehen ist es ein eher einfacher Vorgang - könnte
man meinen. Aber: Kamen dabei nur harmlose Lichtsignale durch meine Netzhaut in
mein Gehirn hinein, oder sendete mein Schädel zusätzlich geheime Strahlen in
die umgekehrte Richtung? Trotz meiner Skepsis und meines diskreten Grübelns
verführten mich meine Erfahrungen doch irgendwann dazu, daß ich leichte
Größenphantasien entwickelte - ohne daß ich begründen konnte, auf welchen
Fähigkeiten oder Verdiensten diese überhaupt beruhten. Ich wußte aber nur zu
gut, daß es mir ein leichtes war, bestrafungswürdige Rivalen auch vollkommen
wortlos zu depotenzieren.
    Ich sprach
meine diesbezüglichen Erkenntnisse eine Ewigkeit nicht aus, behielt sie lieber
für mich. Zu dieser Vorsicht hatte mich ein kleines Früherlebnis angehalten.
Als ich einmal eine harmlose und für mich völlig alltägliche Beobachtung
ausgesprochen hatte, merkte ich, wie alle Umstehenden - auch diejenigen, die
von meiner Bemerkung gar nicht betroffen waren - mißtrauisch versteiften. Dabei
war das, was ich geäußert hatte, ganz und gar aggressionsfrei - jedenfalls im
Vergleich zu meinen sonstigen Denk-Ketzereien. Ich sagte etwa folgendes:
    - Wenn
sich M. nach etwas umdreht, hebt er immer den Kopf leicht nach oben, dabei
spannt sich sein Hals irgendwie an - und diese Spannung zieht sich bis zu
seinem Augenwinkel. Er sieht dann plötzlich so überheblich aus.
    Eine
arglose Bemerkung, könnte man meinen. Da meine Zuhörer aber so irritiert
reagierten, spürte ich, daß mein Spruch alles andere als harmlos, sondern
unanständig war - und ich wurde rot. Den Grund für die leichte Angst der Leute
erklärte ich mir erst nachträglich, als ich wieder allein war. Weil ich in der
Runde preisgegeben hatte, wie genau ich mir andere Menschen ansah - und wie
gewohnt ich es anscheinend war, einiges

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