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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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verwandelte sich in ein Rudel, das gerade durch eindeutige
Alarmsignale informiert worden war. Es herrschte eine Stimmung wie in einer
ausgedörrten Steppe oder in der winterlichen Taiga - jedenfalls wie in einer
von Durst oder Hunger (oder von beiden) beherrschten Gegend. Eine Welle der
schäumenden Erwartung sauste nur so um die Ecken. Plötzlich erschienen dort
neue und neue Männerköpfe mit aufgerissenen Augen, aus allen Nebenstraßen kamen
Individuen angehüpft, um danach zu forschen, was für eine Sensation durch unser
Viertel marschierte und mitten am Tag die Alltagsketten zu sprengen drohte. In
manchen Gesichtern sah man sogar leichte Angst. Vielleicht meinten diese
Vorsichtigen, ein Aufstand wäre im Gange oder ein Aufwiegler gerade dabei, ihn
auszurufen. Diese Individuen hatten beinah recht - unser Viertel war von einem
Aufstand nicht weit entfernt.
    Als ein
Mensch, der für die Realität irgendwann zugelassen werden und deswegen auch den
Zweck seiner Zwängekennen wollte, mußte ich mich fragen, auf welche Ziele meine
Glotzerei eigentlich ausgerichtet war. Zumal es sich um ein Massenphänomen des
Weltmännertums zu handeln schien. Ich wollte also unbedingt wissen: Wohin
sollen die Glotzaktivitäten führen? Wie könnten diese Vorgänge enden, und
welche Erlösungsvarianten böten sich uns Männern überhaupt an? Die Antwort war
eindeutig: Die leere Glotzerei führt zu gar nichts, man sollte sie sich lieber
sparen. Wenn sie im Alltag in eine griffige und gut geschmierte Realität
übergehen sollte, müßte sie in kurzen körperlichen Berührungen der anvisierten
Weibchen münden - in kurzem Schmusen, Drücken, Streicheln ... im Lippenrutschen
an ihren gestreckten Hälsen ... und vielleicht in einem krönenden Kuß am
Haaransatz hinter dem Ohr. Und was dann? Wie würden die Fortsetzung und die
endgültige Befreiung aussehen? Sollte man sich anschließend mit hektischem Hin-
und Hergeschiebe irgendwo vor fremden Menschen lächerlich machen? Und wohin mit
dem unvermeidlichen Ejakulat? Wie abwischen? Wohin entsorgen? Womit auswaschen
oder von der Kleidung bürsten? NICHT DOCH! Bloß nicht!
    Manche
Dinge muß man einfach säuberlich aufschreiben, um ihren Idiotiewert zu erkennen.
Die zum Sackgassendasein verurteilten Glotz-Vorhaben sind lächerlich, und man
sollte sich hüten, sich zu ihnen öffentlich überhaupt zu bekennen. Das Dilemma
bleibt einem trotzdem erhalten, der Drang nach dem optimalisierten Abgrasen der
möglicherweise frei verfügbaren Glücksangebote ebenfalls. Eine Befreiung vom
Glotzdrang wird einem nur der Tod oder eine schwere Krankheit bringen. Trotzdem
sollte man bei dem inneren Diskurs nicht schlappmachen, alle Modalitäten zu
Ende denken und gegeneinander abwägen. Leider stolpert man dabei gleich über
die nächste und übernächste Schwierigkeit! Wie soll man die eigene Not
einigermaßen kulturvoll in ein Damenohr trichtern? Gibt es vielleicht
besondere, ausgesuchte Frauengestalten, mit denen man - im Rahmen einer gefühlvollen
Annäherung, versteht sich - über sich als DEM SCHWEIN DER KULTURGESCHICHTE
diskutieren könnte?
    Es ist
natürlich angenehmer, wenn man solche und ähnlich unter Samenbläschendruck
geratenen Angelegenheiten an anderen Mannesexemplaren studieren kann. Einmal
sah ich unseren kiezeigenen alternden Dichter die Mickiewiczstraße langgehen.
Der kleinwüchsige Mann lief wie gewohnt etwas gebückt, hielt seinen Oberkörper
auch seitlich nicht wirklich gerade, seine ganze Erscheinung prägte
notgedrungen eine gewisse Achsenkrümmung. Wenn aber junge Mädchen irgendwo
auftauchten, richtete sich der Mann kerzengerade auf. Er wurde ein Stück
größer, zog auch seinen Hals in die Länge und zutschte sich mit seinen
wärmesensorischen Augen an die jungen Körper heran, fixierte ihr
venendurchschlängeltes Fleisch wie ein Vampir. Seine Augen glitten gerade noch
über die Dächer der parkenden Autos; er konnte also unauffällig in Bewegung
bleiben, ohne daß ihm irgendwelche Details der lebensfrohen Weiblichkeit
entgehen konnten. Er kostete alles aus, was zu haben war, lief insgesamt etwas
langsamer, beschleunigte nur, wenn ihm ein parkender Transporter oder ein
höheres Fahrzeug den Blick zu versperren drohten. Und er zuckte wie ein
überraschtes Wiesel zusammen, wenn die Mädchen seine Observationsmanöver
bemerkt hatten.
    Beim
jahrelangen Grübeln darüber, wieso man fremde Blicke spüren kann, kam ich eines
Tages auf die Lösung - unabhängig von Rupert Sheldrake und im

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