Faktor, Jan
besten
annehmbaren Normalität dauernd entgleiten sollte. Wobei ich schon wieder dabei
bin - DER WIEVIELTE VERSUCH IST ES SCHON? -, meine Vergangenheit ausgerechnet
durch Wühlen, Sudeln, Rätseln und und ordnen zu wollen.
In meinem
Leben gab es wiederholt Momente, in denen ich mich außerhalb der Wohnung wie im
Feindesland bewegte. Ich fühlte mich wie ein ausgesetztes Haustier oder wie
eine von Biologen nur provisorisch klassifizierte Kreatur, die in einen
falschen Dschungel entlassen worden war. Ich mußte lernen, die Spannung, die
das allgemeine Tummeln und Treiben in diesem städtischen Dschungel dauerhaft
erzeugte, nicht allzu ungefiltert abzubekommen. Die attackenfreudigen
Spannungen waren teilweise dinglichen Ursprungs. Das heißt: Die Dinge stellten
Forderungen. Auf den Prager Straßen schlichen natürlich auch unzählbare Menschen
herum - diese waren mir allerdings oft vielfremder, als es der dingdominierte
Teil der Realität je sein konnte.
Manchmal
erlebte ich den Alltag aber auch aalglatt unproblematisch, spürte früh genug,
wie die diversen belebten und unbelebten Realitätssplitter nur darum bettelten,
in ihrem Frohsinn und ihrer Sinnhaftigkeit wahrgenommen zu werden; das heißt
möglichst nicht anders als in ihrer Funktionalität beziehungsweise ihrem
naturhaften Gewachsensein. Irgendwann wollte ich von diesen illusorischen Angeboten
aber nichts mehr hören, konnte allerdings auch nicht aufhören, über ihre
Daseinsberechtigung zu grübeln. Diese meine, sagen wir, »intellektsarme
Gefühlsarbeit am Differenzieren und Abgrenzen« bedeutete in meinem Fall zwar
einen gewissen Fortschritt, zur wirklichen Autonomie - zur Befreiung aus dem
Trichter der Familie beispielsweise - reichte sie aber absolut nicht.
Die
Forderungen der übermächtigen Wirklichkeit bauten - egal, wie ich mich zu ihnen
verhielt - periodisch einen ungeheueren Membranendruck auf, und ich mußte in
jeder Lebenslage immer wieder für einen möglichst drainagenreichen Ausgleich
sorgen. Und mir wurde eines Tages klar: Wenn ich in der Zukunft extramural
bestehen wollte, würde ich mir einige Tricks erarbeiten müssen. Zum Glück bin
ich am Ende nicht gescheitert: Ich entkam einem gammelsozialistischen Zugriff,
zu einem feuer- oder explosionsgestützten Finalschlag gegen mich kam es nicht,
und ich akzeptierte die vorwiegend MÄNNERBEHERRSCHTE außerhäusliche
Realitätswirrnis schließlich ohne Groll. Und ich trickste weiter, ich mußte es
tun. Ich erweiterte mein Seelenleben vorsorglich auf die Dinge selbst.
Jedenfalls auf diejenigen, die es meiner Meinung nach wert waren. Es war sicher
kein Zufall, daß in der Schule ausgerechnet Physik zu meinem wichtigsten Fach
wurde.
Wenn ich
draußen herumlief, war ich dauernd damit beschäftigt, die Umwelt in meiner
Phantasie zu reparieren. ImSozialismus zerbrach, versackte, zersetzte sich
sowieso pausenlos etwas oder blätterte dickschichtig ab. Ich litt darunter wie
ein zwanghafter Verwalter, der für dieses Chaos die letzte Verantwortung zu
tragen hätte. Zusätzlich flossen in meinem Inneren viele der erinnerten Bilder
und der bebilderten Erinnerungen summarisch ineinander - wie Abwässer aus
Anschlußkanälen in einen Hauptkanal. Und diese Bilder setzten ihr progredientes
Rissebilden in mir fort, verwitterten wie bautechnisch mißratene Wandmosaiken.
Als ein sozialistischer Untertan war man an alle Arten von Mosaiken gewöhnt.
Diese am Sowjetgeschmack orientierten Verschönerungswerke waren bei der
damaligen Obrigkeit sehr beliebt, wurden zur Aufhellung des Alltags so oft wie
möglich eingesetzt - und sie waren in der Lage, auch die repräsentativsten
Sichtflächen auf einen Schlag zu verschandeln. Im Rückblick betrachte ich die
sozrealistischen Mosaiken als fleischgewordene Dekonstruktionen der ihnen
zugrunde liegenden Idee. Sie bröckelten in der Regel schon nach dem ersten
sozialistischen Winter gravitationsgequält zu Boden und schrien aus löchrigen
Gesichtern oder fleckigen Brustkörben nach Erlösung. Ich hätte mich niemals wie
der Schöpfer am siebenten Tag ausruhen können. Ich sah aber bald ein, daß das
meiste um mich herum nicht zu retten war. Hinter den bröckelnden Wandmosaiken
blinzelte bald schon die poröse und alles andere als für die rote Ewigkeit
errichtete Ziegelsubstanz.
Mein
Manövrieren durch die institutionell zusammengeschusterte Wirklichkeit wurde
regelrecht erfrischend, wenn es mir gelang, mich unterwegs auf kleine, eine
gewisse Ästhetik besitzende Details zu
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