Faktor, Jan
auch zu benennen -, schwante allen, daß
ich offenbar in der Lage war, aus jedem von ihnen etwas hervorzudeuten.
- Guckst
du dir alle Männer so genau an? Paß auf, sagte einer noch, um meine Errötung
gegen mich auszuspielen.
Daß meine
durchdringenden Blicke den meisten Menschen nicht behagten, daß sie sich von
mir belästigt fühlten, hatte leider einige handfeste Gründe. Alle diese
Vorsichtigen lagen mit ihrem Mißtrauen also nicht ganz falsch. Hinter meiner
Glotzerei stand natürlich auch so etwas wie das Verlangen nach KORREKTUREN. Ich
hätte dem einen oder anderen manchmal doch ganz gern ins Gesicht gegriffen und
irgendwelche Unvollkommenheiten geradegerückt - Warzen abgekniffen, Muttermale
wegradiert, Tränensäcke ausgewrungen, Mundwinkel hochgezogen, Runzeln geglättet.
Ab und an hätte ich am liebsten aber auch tiefere Einschnitte vorgenommen, mich
direkt zu den Seelen meiner Forschungsobjekte vorgearbeitet. Dank der bei mir
irgendwann angekommenen Erkenntnis, daß für die meisten fleischlichen
Oberflächenschäden der Menschen ihr Seelenleben verantwortlich ist, hätte ich
für diese Eingriffe auch eine klare wissenschaftliche Grundlage gehabt. In mir
steckte nicht etwa ein geborener Therapeut - das, was ich anzubieten hätte,
hätte man eher »Aktionistisches Modellieren« nennen können. Ich hätte mir die
Unglücklichen am liebsten mit Hilfe von fein-invasiven Meißeln vorgenommen,
hätte mich an die Gründe für ihre Zukunfts- und Gegenwartsbitternis mit
gezielt-angemessener Gewalt herangemacht, wäre in ihre eiternden Vergangenheitsgeschwüre
getaucht, hätte ihren Groll so schnell wie möglich drainagiert, ihre Spannungen
in die richtigen Kanäle geleitet undihre Wunden unter freiem Himmel ausschwären
lassen. Ich hätte den Blick der Menschen damit so schnell wie möglich nur für
die Wunder der Gegenwart frei gemacht. Ihre Haut würde sich daraufhin schon von
allein straffen, ihre Tränensäcke würden sich eigenständig trockenlegen und
ihre Warzen eines Morgens einfach abfallen.
Diejenigen,
die sich trauten, meine Blicke als eine Provokation aufzufassen, mußten
notgedrungen auch ihre Wut zeigen.
- Was
glotzt du, du Idiot.
- Renn mal
gegen, sagte einer zu mir und hielt mir seine Faust entgegen.
Wenn ich
meine Blicke absolut nicht unter Kontrolle hatte, immer wieder hinsehen mußte
und die Belästigten keinen weiteren Rat wußten, machten sie mir auch konkrete
Angebote.
- Prügel
gefällig?
Die
Blicke, die ich auf Frauen richtete, waren selbstverständlich hochgradig
bedürftig. Diese weicheierischen Anteile kannte ich nur zu gut, wußte aber
lange nicht, wie leicht sie von Dritten durchschaut werden könnten. Als ich die
vergleichbar ungeschützt hinausposaunte Bedürftigkeit endlich unter die Lupe
nahm, Blicke von Männern, die sich ähnlich armselig aufgeführt hatten,
freilegte, wußte ich schlagartig Bescheid. Ein Freund von mir schaute einer
jungen Rezeptionsdame beim Verlassen eines Provinzhotels so lange und intensiv
in die Augen, bis diese ihn anlächelte. Ich fand die Situation furchtbar
kindisch, und mein bester Freund tat mir leid. Aber ich sollte vielleicht nicht
allzulaut krähen. Einmal fuhr ich durch die halbe Stadt in eine bestimmte
Kneipe, um mir den Arsch einer Kellnerin von nahem anzusehen. Am Tag hatte ich
sie und ihr Hinterteil nur flüchtig aus der Straßenbahn gesehen und war so
unruhig geworden, daß ich noch einmal antanzen mußte. Ich wollte diese Frau
ganzheitlich und von allen Seiten begutachten.Nach der vollkommen sinnlosen
Recherchefahrt hoffte ich, mich nie wieder auf ein solches Abenteuer
einzulassen. Die Frau wirkte nämlich - Arsch hin oder her - alles andere als
glücklich, ihr Gesicht war - Unglück hin oder her - schon von Natur aus
disharmonisch, und mit ihrer großporigen Haut stimmte etwas nicht. Außerdem
fehlte ihr ein Backenzahn.
Um wieviel
schöner waren dagegen, erinnerte ich mich, die alten Frauen unten den blühenden
Prager Linden! In jeder Saison gingen sie mit ihren Haushaltsleitern wenigstens
einmal auf Wanderschaft. In unserer Gegend standen dann Unmengen von Omas in
unterschiedlich luftiger Höhe - überall dort, wo die gelbstrahlenden Äste der
Linden einigermaßen niedrig hingen. Alles duftete, die Frauen pflückten die
Blüten, und man konnte ihnen unter die Röcke sehen, wenn man Interesse am
Wissen über die Heilwirkung der Lindenblüte zeigte.
In der
Kindheit hatte ich die naturdiktierten,
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