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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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ich
ein befugter und erfahrener Werber, da ich meine Clique ebenfalls als eine
Raumschiff-Besatzung angemeldet hatte und formal als ihr Chef galt. Skopka
duldete den Betrug eine Zeitlang, es besserte einfach die Statistik seines
Gouvernements auf. Zum Glück wußte Skopka nicht, wie unverschämt wir die dem
Kosmos geweihten Aktivitäten an manchen Nachmittagen parodiert hatten. Wir
balancierten beispielsweise auf dem Gelände oberhalb der Festungsmauer und
übten mit ausgebreiteten Armen das Fliegen. In der Regel sprangen wir
irgendwann zur Straße hin - nur der tolpatschige Kumpel Sternküker fiel einmal
drei Meter nach unten in die Botanik, amputierte dabei einseitig eine Eibe, die
seinen Fall zum Glück etwas abgebremst hatte. Er zerriß sich dabei leider seine
österreichische Jeans und ein Ohrläppchen.
    - Du bist
ein toter Mann, meinte jemand. In der Eibe steckt Taxin.
    - Scheiße,
meine Jeans! jammerte Sternküker. Die Beeren sind jedenfalls nicht giftig, die
habe ich schon einmal gezutscht.
    - Bist du
bescheuert?
    - Niemand
hat sich das getraut, nur ich.
    -
Vielleicht solltest du an den Nadeln kauen, die sind auf jeden Fall deftiger.
    Sternküker
kletterte an der bröckeligen Ziegelmauer hoch, rutschte weit oben aber wieder
ab und sprang hinunter. Weil wir über ihn wieder lachten, nahm er mit
bloßerHand eine ausgetrocknete Hundekacke und warf sie in unsere Richtung.
Normalerweise waren wir aber eher nett zueinander. Meine Raumschiff-Mannschaft
war absolut kein Schlägertrupp und im Grunde harmlos. In Prag hatte es dafür -
lange vor uns - ganz andere Wilde gegeben. Es war aber nicht verwunderlich, daß
ausgerechnet solche mit Legenden umgebenen Früchtchen des Bösen meine Idole
gewesen waren. In den fünfziger Jahren gab es beispielsweise die »Vysehrader
Reiter« - eine Bande von kriminellen Jugendlichen, über die sich alle Prager
Spießer furchtbar aufgeregt hatten. Die Bande war vor allem in den südöstlichen
Bezirken von Prag aktiv. Auf mich wirkte schon der poetische Name der Bande
berauschend. Die Jungs waren in dieser Zeit eindeutig die übelsten Prominenten
des Landes. Der im Süden oberhalb eines imposanten, in die Moldau fallenden
Felsens liegende Vysehrad - die Hochburg - ist nicht nur aus der
vorgeschichtlichen Zeit sagenumwittert und als besiedelte Festung älter als die
eigentliche Prager Burg - dort befindet sich außerdem der Ehrenfriedhof des
Landes. Dort ruhen viele der größten Geister, die das tschechische Volk
hervorgebracht hat - und die Vysehrader Großstadtbanditen, diese
Schreckgestalten der neuen Zeit, waren in meinen Augen nah dran, sich zwischen
die würdevollen Ahnen einzureihen. Egal, wie sadistisch und niveaulos sie
gewesen waren. Sie überfielen am Tag alte Menschen, begrapschten nebenbei Busen
älterer Damen, beraubten nachts Pärchen in den Parks, zerlegten geklaute
Motorräder, schlugen absolut rücksichtslos ihre Gegner zusammen. Das Anziehende
an den Burschen war, daß sie damals die auffallendsten Provokateure Prags
waren, ihre pure Existenz traf die sozialistischen Moralstatthalter mit voller
Wucht zwischen die Augen. Auch dank ihrer Haare, ihrer Röhrenhosen und der von
ihnen verehrten Musik; diese nannte sich - für jeden Bürger mit gesundem
Menschenverstand vollkommen unlogisch - Rock 'n' Roll.Das Herangären der neuen
Generation war später in den sechziger Jahren nicht mehr zu stoppen, der
Würgegriff des Sozialismus schwächelte sowieso. Kurz vor 1968 sahen die Musiker
der Gruppe »The Primitives Group« so übel aus, daß man gegen sie in den
Fünfzigern auch militärisch - wie gegen die »Vysehrader Reiter« - vorgegangen
wäre. Kurz nach dem Ende der »Primitives« durchbrachen dann »The Plastic People
of the Universe« endlich alle Dämme - und ich war endlich alt genug, um einiges
davon direkt mitzuerleben. Ihre ersten Konzerte fanden in der Kneipe »Na
Ofechovce« in Prag 6 statt - nur drei Straßenbahnstationen von meiner Wohnung
entfernt. Die plastischen Menschen entfachten bei ihren Konzerten gefährliche
Höllenfeuer, ließen Benzin spucken, fürchterliches russisches Parfüm ins
Publikum spritzen und warfen bei Freilichtauftritten Nebelgranaten aus
Armeebeständen von der Bühne. Beim Konzert in der Galerie »Mänes« spritzte das
Blut aus einem frisch geschlachteten Huhn so weit in Richtung Publikum, daß
sich einige Damen erbrachen oder ohnmächtig wurden.
    Den Trend
zur psychedelischen Musik hatten andere Big-Beat-Bands der ersten

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