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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Generation
gründlich verschlafen. Sie berauschten sich weiter am unspektakulären
Gitarrensound und traten ordentlich bekleidet auf - manche sogar in
zweiteiligen Uniformen, also in kragenlosen Jacketts und Faltenhosen, andere
bekannte Bands wie die »Sputnici« immerhin in karierten Hemden. Skopka hätte
ausgerechnet diese Band sicher besonders gemocht, wenn er Zeit gehabt hätte, zu
derartigen Konzerten zu gehen.
    Auf der
Bühne im Freizeitpark »Julius Fucik« traten eines Nachmittags hintereinander
mehrere brave Bands auf, der Unmut im Publikum war von Anfang an, auch schon
bei den Sputniks, zu spüren. Beim Auftritt einer Band, die nach den Sputniks
tatsächlich uniformiert auftrat, ging die Menge dann auf die Barrikaden - diese
Burschen trugen um den Hals sogar farbige Schleifen, und ihre Musik war
ebenfallsungenießbar. Man wünschte sich und erwartete musikalische Rebellion,
bekam statt dessen - und im fürchterlichsten Tschechisch - etwas über Liebe,
regnerische Nachmittage und zu oft gefärbte Mädchenhaare zu hören. Diese
Gute-Laune-Musik kam inzwischen einer Provokation gleich.
    - BEI BIG
BEAT LACHELT MAN NICHT, IHR IDIOTEN, brüllte jemand mit einer tierisch lauten
Stimme.
    Etwas
Aufrührerisches wollte und konnte diese Gruppe aber nicht liefern, die Stimmung
im Publikum wurde bedrohlich. Die Leute pfiffen inzwischen so stark, daß die
damals noch brustschwachen Verstärker dagegen wenig ausrichten konnten. Ich saß
auf einer Seitenmauer und staunte. Die Musik gefiel mir auch nicht, so viel
Wut, daß ich etwas hätte demolieren wollen, spürte ich aber nicht. Und laut zu
pfeifen mußte ich noch lernen. Viele der aufgewühlten Rockfans, bis dahin
friedliche Besucher des Freizeitparks »Julius Fucik«, waren inzwischen nicht
mehr zu stoppen, und die Zerstörungsorgie konnte beginnen. Und ich sah etwas,
was ich davor noch nie gesehen hatte - die Auswirkungen der gezielt
UNfreundlich angewendeten Menschenkraft. Der Anblick der leicht nachgebenden
Möbelstücke, die kurz davor noch so stabil gewirkt hatten, war unendlich
amüsant. Ich sah trotzdem nur zu und blieb auf meiner Steinmauer sitzen - mein
Respekt vor dem Material aus den tschechischen Wäldern, mein Respekt vor
menschlicher Arbeit und vor intakten volkseigenen Gebrauchswerten war viel zu
groß. Gelenke der Klappstühle stöhnten, Schirme knickten um, das Holz der
massiven Bänke gab irgendwann auch nach. Schließlich kippten einige Budenwände
um - sie fielen nach außen, begruben Mülleimer unter sich, warfen einbeinige
Biertische und freistehende Grillvorrichtungen um, verscheuchten herumstehende
Würstchenesser. Die uniformierten Musiker waren aber Profis und spielten trotz
des Affenlärms noch eine Weile weiter, beworfen wurden sie höchstens mit
Pappbechern.Irgendwann kamen einige Polizisten angerannt, hatten aber keinerlei
Ausrüstung dabei und griffen nicht ein. Sie brüllten unhörbar, hatten nicht
einmal Megaphone mitgenommen - und man beachtete sie nicht. Die Bandtechniker
stellten die Verstärker irgendwann ab - und weil ich mich den Zerstörern des
sozialistischen Eigentums nicht wirklich zugehörig fühlte, ging ich ohne jede
Hektik nach Hause. Die Polizei schickte schließlich doch eine größere Truppe
vorbei, traf die wildgewordene Jugend aber nicht mehr an. Diese diskutierte die
Ereignisse längst schon irgendwo beim Bier und kümmerte sich keinen Deut darum,
was man am nächsten Tag in der Presse über sie schreiben würde.
    Der Prager
Frühling meldete sich in den sechziger Jahren an mehreren Fronten, massiv dann
seit dem Sommer 1967. Den Anfang machten die Schriftsteller auf ihrem Kongreß
im Juni, dann waren - wie in jeder bröckelnden Diktatur - die Studenten an der
Reihe. Und ich erfuhr alles brühwarm von meiner Mutter. Der Anlaß für den
studentischen Aufruhr war erst einmal banal. Weil die Leitung eines
Studentenheims nicht in der Lage war, die rigorose Hausordnung durchzusetzen,
strafte man die lernenden, aber auch anders nachtaktiven Hochschüler
dergestalt, daß man ihnen - den Kollektivschuldigen, also den ganzen Blocks -
immer wieder den Strom abschaltete. Eines Tages nahmen diese ihre bereits
brennenden Kerzen in die Hand und machten sich auf den Weg in die Innenstadt.
Ihre modernen Vorzeige-Unterkünfte standen weit oberhalb der Stadt beim
Turnfeststadion, in dem mir einst die 60 000 nackten Frauenbeine präsentiert
worden waren. Zu Fuß kommt man von dort, wenn man durch die Grünanlagen von
Petfin läuft, sehr

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