Faktor, Jan
schnell hinunter in die Stadt. Die Studenten nahmen bei
dieser Demonstration aber den längeren Weg an der Prager Burg entlang.
Unterwegs skandierten sie konsequent ihre relativ harmlose Losung:- WIR WOLLEN
LICHT!
Sie
passierten den Sitz des Präsidenten und erreichten durch die Nerudagasse sogar
den oberen Teil des Kleinseitner Rings, hinter der Moldau lag schon das
Zentrum. Über den Fluß kamen sie nicht mehr, sie wurden auseinandergetrieben
und zusammengeschlagen. An der Aufmüpfigkeit der Studentenschaft und ihrer
Bereitschaft zum Aufruhr waren damals die Beatniks, allen voran ausgerechnet
Allen Ginsberg, nicht ganz unschuldig. Man ließ Ginsberg als einen radikalen
USA-Kritiker im Februar 1965 einreisen, und die Prager Studenten wählten ihn am
Ersten Mai zum König ihres historischen Straßenfestes und Spektakels »Majäles«.
Die Ausgelassenheit, mit der diese Krönung gefeiert wurde, paßte der
Staatsmacht natürlich überhaupt nicht, und Ginsberg wurde innerhalb einer Woche
wegen Rowdytums, Trunkenheit, Rauschmittelmißbrauchs und Verherrlichung der
Homosexualität ausgewiesen. Man hatte ihn von Anfang an bespitzeln lassen,
hatte in seinem privaten Tagebuch gestöbert. Die Kleinbürger waren über den
Chaoten und Verführer der Jugend empört, und die Partei nutzte die Gelegenheit
zu gezielten Schlägen. Die frechen Studenten hatten sich bei ihrem von der
Partei- und Staatsführung so großzügig genehmigten Umzug sowieso ungeheuerlich
viele Freiheiten herausgenommen. Bei der Demonstration für mehr Licht - also
zwei Jahre später - hatten sie keinen eingereisten Fremdrebellen mehr nötig.
An der
Grundspießigkeit des kleinen Mannes haben leider auch die späteren freien acht
Monate von 1968 nicht viel geändert. In den siebziger Jahren standen die
Kleinbürger - egal, wie politisch andersdenkend sie waren - bei manchen
Ereignissen wieder geschlossen hinter der Staatsmacht. Nach einem
denunziatorischen Propagandafeldzug gegen die inzwischen in den real
existierenden Untergrund abgetauchten »The Plastic People of the Universe« war
die Aufregung überall zu spüren.- Pfui! Die waschen sich nicht! ... Wie sie nur
aussehen! ... Diese fettigen Haare! Und dazu noch der fürchterliche Krach!
Arbeiten sie überhaupt? Haare abschneiden und ab in die Kohlengruben!
Wie einer
dieser Rocker auf der Straße haßerfüllt eingekesselt wurde, erlebte ich einmal
ganz unmittelbar. An einer Straßenbahnhaltestelle, an der ich umsteigen mußte,
stand nicht nur eine unansehnliche Ansammlung von Normalbürgern, dort stand -
abseits von allen - auch der Gitarrist und Keyborder der Plastic People, Josef
Janicek. Er stand dort in seiner ganzen Häßlichkeit: lange, nach vorn fallende
Haare, eine extrem schiefe Nase im schiefen Gesicht voller Pickel und Pickelnarben,
zerknitterte grüne Kutte, löchrige Jeans, breitgelatschte Schuhe - in seinem
Gesicht hielt er aber ein schönes ironisches Lächeln bereit und schützte sich
vor der ihn anfallenden Ablehnung. Er stützte sich auf seinen Gitarrenkasten,
wartete geduldig - im Grunde brav wie alle anderen. Und er wußte genau, daß er
die Verkörperung der aktuellen Pestgefahr war, Bote der schlimmsten
Infektionsbrut, Pogromjude und Lynchjustizneger zugleich. Mit dem Ekel, der Wut
und dem phantasierten Machtgefühl der Menge, die die ganze Staatsmacht hinter
sich zu stehen hatte, mußte er gelernt haben zu existieren. Ich stand nicht
weit von ihm, war voller Bewunderung, Begeisterung und Hilflosigkeit. So
normal, kurzhaarig und ordentlich angezogen, wie ich war, bedeutete ich für ihn
absolut keine fraktionelle Verstärkung. Und ich wäre es für mein
Gitarristen-und Widerstandsidol Janicek auch dann nicht gewesen, wenn ich meine
Unsicherheit überwunden und mich in meinen ordentlichen sauberen Jeans getraut
hätte, zu ihm zu gehen und zu sagen:
- Hallo,
Bruder, ich kenne dich schon seit der Zeit bei der Primitives Group.
Im Rahmen
der Kampagne gegen den rockmusikalischen Underground gab es nicht nur mehrere
aggressive Artikel inder Presse, die Propagandaspezialisten ließen im Rahmen
einer Fernsehsendung sogar Ausschnitte aus beschlagnahmtem Filmmaterial der
Plastics ausstrahlen. Auf diese Weise konnte ich überhaupt einige ihrer
illegalen Auftritte sehen, nahm über Mikrophon den Ton der ganzen Sendung auf -
an Onkel ONKELS Fernsehapparat und hinter Onkels Rücken, versteht sich.
Im
Sozialismus wuchs in einem wie nebenbei eine Art Dauerangst - kontinuierlich
und unmerklich.
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