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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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zu
spät sein kann. Peprl war die erste bei uns, die starb. Sie starb im
Krankenhaus, ich hatte sie dort nur ein einziges Mal besucht. Als ihr Ende
nahte, hatte ich Ferien. Ein Besuch hätte sowieso keinen Sinn gehabt, meinte
jemand, Peprl hätte angeblich niemanden mehr wahrnehmen können. Ich hatte mich
damals auf die Erwachsenen, die meinten, über die restlichen
Wahrnehmungsfähigkeiten von Sterbenden Bescheid zu wissen, verlassen. Dabei war
Tante Peprl in ihrer Körperhülle sicher hellwach gewesen. Ausgerechnet sie
hatte in ihrem Keller lange Jahre für den Tod geübt und ihre Sinne für alle
möglichen durch die Wände oder das Doppelfenster zu empfangenden Signale
geschärft. Wenn sie bei ausgeschaltetem Licht im Dunklen saß, war sie doch - um
sich nicht zu langweilen - sicher vor allem darauf aus, Vibrationen,
Schattenwürfe oder Erschütterungen zu empfangen. Ich behielt das Gefühl, Tante
Peprl viel schuldig geblieben zu sein, ihr irgendeinen Wunsch nicht erfüllt zu
haben.
     
    frau
slajsovä
    Unsere
Putzfrau aus dem schon erwähnten Stamme VER-SCHLEISS - Frau Slajsovä - war
nicht nur herzlich und liebenswert wie alle mich umgebenden Damen, sie war
günstigerweise auch noch putzwütig. Und im Gegensatz zu allen mir bekannten
Frauen war sie bärenstark. Sie war ein riesiges Weib, war gut fettbepolstert
und wie ein Nutztier außerdem reichlich mit Muskulatur bepackt. Sie hatte
unmenschlich rauhe Hände, von den Elephanten abgekupferte Füße und einen Arsch,
der - was seine Größe betraf - in der gesamten Republik nur schwer
seinesgleichen gefunden hätte. Außerdem besaß sie ballonartige Knie, auf die
sie sich bei Bedarf mit voller Wucht fallenlassen konnte, ohne sich weh zu tun;
und man sah sie dauernd irgendwo auf einem ihrer Knie herumkurven - oder auf
beiden. Sie war eine Ringerin der schwersten Möbelklasse und konnte
beispielsweise auch halbwegs volle Kleiderschränke so fest anpacken, daß diese
ihr folgten. Jedenfalls war sie in der Lage, bei Bedarf alle Möbelstücke, die
die Spannweite ihrer Arme nicht überschritten, allein anzuheben und
parkettschonend anderswo abzusetzen. Über solche und ähnliche Kunststücke von
ihr wurde bei uns immer mit größtem Respekt gesprochen.
    Frau
Slajsovä im Zusammenhang mit dem guten Geruch unserer Wohnung nicht zu erwähnen
wäre nicht nur ungerecht - es wäre eine regelrechte Schandtat, eine
verbrecherische Unterlassung erster Güte. Bei meiner Mutter, bei Großmutter
Lizzy und mir durfte sie regelmäßig putzwüten, und das tat sie auch. Sie putzte
und säuberte leidenschaftlich und lächelte immer zurück, wenn man sie lächelnd
ansah. Tante Györgyis Bereich und den des Onkels durfte sie dagegen nicht einmal
betreten - sie hätte dort auch nichts zum Lachen gehabt. Györgyi ließ sowieso
kaum jemanden zu sich herein, und Onkels Raum war voller sensibler Dinge, die
niemals in eine Frauenhand geraten durften. Und Frau Slajsovä für ihre
Distanzlosigkeit gegenüber Mensch und Materie noch zu bezahlen kam für ihn
außerdem nicht in Frage. Bei Erna hatte Frau Slajsovä nur begrenzte Putzrechte,
außerdem wurde sie bei der Arbeit pausenlos vollgequatscht - das heißt von Erna
im Grunde beaufsichtigt. Zarte Gegenstände wie Vasen wurden vor dem Reinemachen
aber nicht nur bei Erna rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Frau Slajsovä galt
allgemein als gefährlich, da sie ihre Kraft oft zu hemmungslos einsetzte.
Außerdem arbeitete sie gern mit althergebrachten radikalen Putzmitteln - oft
mit reinen Chemikalien. Solange darunter nur ihre Hände litten, ließ man sie
schaumfrei oder vielschäumend walten, schalten, ätzen und zersetzen.
    Der
Höhepunkt des Jahres war für Frau Slajsovä der gründliche Frühjahrsputz,
»gruntoväni« genannt. An diesem Tag bekam sie etwas höheren Stundenlohn als
sonst und hatte noch bessere Laune als sonst - aber natürlich nicht wegen der
auch in diesem Fall bescheidenen Bezahlung, sondern wegen der vor ihr stehenden
und edlen Großaufgabe. Diese bestand darin, die zu putzenden Räume auf den Kopf
zu stellen. Vorübergehend sollte an dem Tag nichts bleiben, wie es war und wo
es war. Schränke wurden von der Wand abgerückt und auch von hinten mit Schaum
gewischt und desinfiziert, schwere Teppiche wurden zusammengerollt und zum
Klopfen in den Hof geschleppt, Matratzen auf den Balkon hochkant gestellt und
alle Betten umgekippt. Nirgendwo sollte ein Körnchen Staub unentdeckt haften-
oder sogar klebenbleiben. Das eigentliche

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