Faktor, Jan
ihm
grundsätzlich leichter. Außerdem konnte er,der nicht nur als schön galt,
sondern sich auch selbst schön fand, von einem höher gelegenen Podest
durchstarten. Seine Blickrichtung war eine andere, zu ihm wurde naturgemäß
aufgeblickt.
Der
gelassene, von den Wissenden geprägte Gesichtszug wird den Schönen umsonst,
einfach wie nebenbei zur Verfügung gestellt - zur Stärkung bekommen viele von
ihnen sogar einen zusätzlichen Wertcoupon zwischen die Schenkel geschoben.
Diese Menschen besitzen eine sich selbst bestätigende AURA DER GEWISSHEIT im
Grunde seit der Kindheit. Nach meinem Gefühl haben sie eine gewisse
Bedeutungssicherheit aber schon seit ihrer Zeugung in sich getragen - als eine
milchige Vorahnung zumindest. Sie sind mit den Auswirkungen ihrer Aura
aufgewachsen und gereift, sie sind unablässig gestärkt worden. Sie konnten ihr
machtbehauchtes Selbstwertgefühl andere Menschen jederzeit spüren lassen; egal,
wie fragil ihre Aura oder wie härteungeprüft ihr Selbstwertgefühl während ihrer
jungen Jahre sein mochten. Und nochmals ganz ohne Neid gesagt: Dank ihres
Beitrags zur Ästhetik der menschlichen Lebensräume haben diese Menschen
tatsächlich nicht ganz ohne Sinn geatmet und gestöhnt, nicht zwecklos an den
Energiereserven der Welt gezapft. Bis zum Zeitpunkt der Midlife-Prüfung
jedenfalls.
Da aber
das Genießen der Schönheit - der der anderen oder seiner eigenen - natürlich
nicht alles ist, was ein Mensch auf Erden zu leisten hat, kann die Schönheit in
der zweiten Lebenshälfte zu einem ernstzunehmenden Pflegefall mutieren.
Selbstverständlich konnten nicht alle dieser Schönen die ihnen vorgesetzten
Härteprüfungen unverletzt überstanden, nicht jede Hochhürde heil überstolpert
haben. Und wenn ein unschön angeschlagener Schöner abstürzt, gibt er nach dem
Entblättern nicht unbedingt schönere Signale von sich als einige seiner weniger
verwöhnten Mitmenschen.
niemand
konnte ihn von seinen haaren, seiner nässe und seiner nervosität befreien
In der
Slowakei blieb ich erst einmal nicht lange. Das Wetter war scheußlich, die
winterliche Klettersaison war vorbei und die sommerliche Hochsaison noch in
weiter Ferne. Ich hockte ganz allein in einer Schutzhütte - und schlief allein
in einem Schlafsaal mit zwanzig Betten. Eine Übernachtung kostete dort nur
fünfzehn Kronen. Ich hatte diese Hütte aber nicht nur wegen des Preises
gewählt, sondern auch wegen der mittleren Höhenlage - in die Ortschaften an der
Bergbahn war es nicht übertrieben weit, in die Hochtäler ebenfalls nicht. Ich
versorgte mich natürlich auch sonst sehr preiswert, aß fast ausschließlich Brot
mit geräuchertem Schmelzkäse. Tee und Pulversuppen konnte ich mir in einem mit
Blech ausgeschlagenen Vorraum selbst kochen - auf meinem mitgebrachten
Benzinkocher. Am Tag lief ich in der Gegend herum und sah mich nach Arbeit um.
Abends saß ich in der Hütte an einem langen Eßtisch, an dem sonst ganze
Klettermannschaften ihren Grog tranken und sich unschöne Konserveninnereien auf
ihre Brote schmierten. Die Herbergsmutter - eine ehemalige Bergsteigerin der
Nationalmannschaft - stand in der Tür zur Küche und wollte mit mir tiefe
Gespräche über die Einsamkeit in den Bergen führen. Sie sah immer noch
beeindruckend sehnig aus und verschlang mich mit ihren Augen. Diese Augen
hatten - wie ich wußte - schon die Spitze des Nanga Parbat aus nächster Nähe
gesehen. Ihre frostgeschädigte Nase und ihr sich offenbar dauerhaft abpellendes
linkes Ohr schimmerten an den blanken Stellen im hellen Klitoriszartrosa, und
die Frau sah in ihrer partiellen Pflegebedürftigkeit reizend aus. Und ich
hätte, wenn mir danach gewesen wäre,mit ihr in ihrem Privatkabuff schlafen
können - und ihren tapferen und mit Bergluft durchströmten Körper nach weiteren
interessanten Frostschäden absuchen können.
Nach drei
Tagen war ich leider so depressiv geworden, daß ich Magenkrämpfe bekam, meinen
Schmelzkäse nicht mehr riechen konnte und in ein Restaurant essen gehen mußte.
Nachdem ich unten in Smokovec eine Weile herumgelaufen war, kam es für mich
plötzlich nicht in Frage, mich in einer gewöhnlichen Gaststätte abspeisen zu
lassen, und ich peilte das beste Lokal des Ortes an - das Restaurant des
Interhotels Tatra. So zerknittert und ungepflegt, wie ich inzwischen aussah,
hätte man mich eigentlich nicht hereinlassen dürfen. Im Speisesaal saßen aber
kaum Gäste.
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