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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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nördlichen Rest der
Stadt. Auf das Wörtchen DIREKT bildet sich jeder Tscheche gern etwas ein. Auch
der brave Soldat Schwejk mochte Menschen, die nicht aus irgendeiner
schmuddeligen Umgebung einer Stadt kamen, sondern DIREKT aus ebendieser Stadt.
Später in meinem Erwachsenenalter ging es mit der Lobhudelei meiner Stadt und
im besonderen meiner Wohngegend nahtlos weiter:
    - Ach,
Prag - eine so schöne Stadt, wunderschön, wie kann man aus einer so schönen
Stadt weggehen! In der Nähe der Burg? Wirklich? So idyllisch?
    Daß wir so
schön wohnten, könnte der weitere Grund für die Häßlichkeitsimmunität aller bei
uns versammelten Erwachsenen sein. Vielleicht sahen sie die vielen grauenhaften
Möbelstücke, Schränke und Vorhänge im Schatten der Kulissen, die uns außerhalb
der Wohnung überall umgaben. Hinzu kam noch der Glanz meiner Mutter. Meine
Mutter konnte man vor einen egal wie verbrecherisch gestalteten Vorhang
stellen, ihre Schönheit verlor dabei nur wenig. Die damals vom Feminismus noch
vollkommen unberührten Männer waren so verrückt nach ihr, daß sie ihr im Kino
sogar von hinten an den Busen faßten. Meine Mutter lachte darüber und erzählte
es mir brühwarm. Ich wurde von ihr sowieso zunehmend mit unanständigen
Anekdoten und Witzen versorgt. So war unsere Gegend für mich nicht nur schön,
sie war voller schöner Obszönitäten. In einem von Mutters Witzen ging es um
einen Texaner, der dauernd davon schwärmte, wie groß alles in Texas sei - nicht
nur die Prärien, Felder und die Kuhherden, sondern auch körperliche Dinge. Sein
Penis würde natürlich auch dazugehören. Dieser Texaner versagte aber kläglich,
erzählte meine Mutter weiter, als er an eine Frau geriet, die zwar schön und
begierig war, leider aber auch aus Texas stammte. »Mist! Ich wußte nicht, daß
sie auch aus Texas war!«
    Mutter
lachte über den Schlußsatz des Texaners wie wild. Ich fand es nur etwas
unpassend, ausgerechnet von meiner Mutter mit dieser Art Ware beliefert zu
werden. Natürlich sah ich aber alles bildlich vor mir. Ich sah sofort einen
nach Umschlingung suchenden Penis in einer weiten, unwirtlichen Höhle wedeln,
ich sah einen mit meinem Penis verwandten Leidensgenossen, der keinen Halt,
keine Berührung und kein Glück fand. Meine Mutter trug mir aber auch
Hochwertigeres vor, zum Beispiel Passagen aus schwülstigen Liebesgedichten:
»Der Mann zergeht in der Sehnsucht nach Aussaat, die Frau hat einen fruchtbaren
Schoß ...«
    Meine
Mutter war eine Bewunderin nicht nur der Männer der Kunst, sondern auch der der
Medizin. Von Kunst hatte sie einigermaßen eine Ahnung, sie schloß sich trotzdem
aber auch hier lieber den männlichen Meinungen an. Die Experten in dieser Welt
wären nun mal Männer, meinte sie, die Frauen wären ihnen in jeder Hinsicht
unterlegen.
    -
Angeblich erhöhen Nüsse die Intelligenz. Ich müßte jeden Tag eine Kokosnuß
essen, um hier wirklich mithalten zu können.
    Ein
Experte war für meine Mutter jeder, der sie mit einer klar geäußerten Meinung
beeindruckte. Wenn dieser Mann außerdem SCHÖN war, stand er auf seinem
Stufenpodest gleich noch viel höher. Mutters Bereitschaft zu bewundern kannte
vor allem bei den Ärzten keine Grenzen, was für sie später fatale Folgen haben
sollte. Gestorben ist sie viel zu früh, weil sie sich von ihrem natürlich
schöngesichtigen Landarzt hatte einreden lassen, ihre Rückenschmerzen kämen von
Verspannungen der Muskulatur oder von eingeklemmten Wirbelsäulennerven und
hätten mit Herzbeschwerden nichts zu tun.
    Mutters
eigentlicher Mörder ist aber nicht ihr Hausarzt, Mutters Mörder bin ich. Ich
behandelte sie eine Zeitlang ausgesprochen UNGUT, stieß sie wegen ihrer
Zudringlichkeiten immer wieder ab. Und ich betrog sie mit ihrer Freundin. Meine
Mutter hat sich meinetwegen jahrzehntelang gequält und verzehrt. Die vielen
Kränkungen, die zu unserer Beziehung gehörten, trafen fast ausschließlich sie
allein.
    Hinzu kam
noch, daß sie sich ab ihrem fünfundvierzigsten Lebensjahr nicht mehr schön
genug fand. Sie litt bereits unter den ersten Anzeichen des Alterns
fürchterlich, schämte sich für die kleinsten Unvollkommenheiten und erholte
sich von ihren fortgesetzten Schockerlebnissen nicht mehr.
    - Meine
Haut am Hals, guck dir das mal an!
    Wenn sie
gerade nicht lächelte, trug sie oft ein nach innen fallendes Leidensgesicht,
das auf allen späten Fotos von ihr zu sehen ist. Ab einem bestimmten Punkt gab
es dann keine Fotos mehr. Daß ich zu ihr

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