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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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die Zensurschranken überwunden hatte und in Prag
endlich angekommen war, auf kleinen Experimentalbühnen erleben.
    Zufällig
und beliebig waren die Beschallungsattacken natürlich nicht. Bald nach der
musikalischen Einstimmung ertönte eine aufgeregte, sich überschlagende Stimme,
die das jeweilige Großereignis verkündete - und den Text der frohen Botschaft
noch einmal und noch einmal wiederholte. Diese wuchtigen Bekanntmachungen waren
für ohrenoffene Wesen wie mich, für Menschen mit leicht formbarer Gehirnmasse
einmalig beeindruckend. Ich war gierig nach Glück, und so eindeutig
optimistisch stimmende Ereignisse waren im sozialistischen Alltag eher selten.
Und dann gleich ein derartiger Ausbruch von Freude! Dabei hätten die
Lautsprecher, rein theoretisch, genauso den Ausbruch eines atomaren Weltkrieges
verkünden können. Diese oft im Doppelpack auftretenden und eher an große Ohren
erinnernden Apparate wurden normalerweise nie laut, man vergaß fast, daß es sie
überhaupt gab. Sie taten mir wegen ihrer Unterbeschäftigung furchtbar leid.
Wenn ich ausnahmsweise mal aufsah, hatte ich regelmäßig das Gefühl, sie hätten
am liebsten - also im Falle eines atomaren Angriffs - das zum Zudecken
benötigte und vor der Radioaktivität schützende Zeitungspapier ausspucken
wollen; wenn sie es gekonnt hätten. Aus den entsprechenden Kursen der
Zivilverteidigung wußten wir über diese Dinge alle gut Bescheid. Ob die Lautsprecher
überhaupt funktionierten, war in der Zwischenzeit vollkommen unklar. Regelmäßig
genutzt wurden sie nur einmal im Jahr am Ersten Mai.
    Als im
Jahre 1961 Gagarin ins All geflogen und wieder zurückgekehrt war, wurden alle
Schallmauern der Freude endgültig durchbrochen. Die Männer in der
Beglückungszentrale waren außer sich geraten, brachten sich in Rage von
mindestens 5 Mach, konnten stundenlang nicht aufhören zu senden - und
wahrscheinlich ruinierten sie damals ganze Teile ihrer Apparatur. Sie drehten
und würgten an den Knöpfen ihrer Verstärker, ließen die musikalischen
Begeisterungswellen sich eruptionsartig überschlagen, erlaubten den
eingeladenen Prominenten, unsinnig laut in die Mikrophone zu brüllen - so laut,
daß man sie wegen der Überschreitung der Pegelgrenzen gar nicht verstehen
konnte. Einigen Sprechern barsten in den Hälsen vielleicht lange verborgen
gehaltene oder auch ihnen selbst verborgene Glücksblasen. Technisch oder
menschlich muß an dem Tag jedenfalls einiges schiefgegangen sein. Nach dieser
öffentlichen Orgie blieben die Straßenlautsprecher in meinem Stadtteil sehr
lange still. Aus den folgenden Jahren kann ich mich jedenfalls an keine
flächendeckende Freudeverteilung mehr erinnern.
    Bereits
während des allgemeinen Jubels um den zweiten Sputnik mit der tapferen Laika
rührten sich in der Gesellschaft auch Menschen, denen nichts heilig war. Kurz
nach Laikas Triumph kursierte in der Bevölkerung ein Schmähreim, der zusätzlich
noch nach einer Rock'n'Roll-Melodie aus Amerika gesungen wurde:
    Sovetsti muzici / vypustili druzici /Lajku do ni nacpali /a
nazratjinedali. Frei übersetzt heißt es: »Sowjetische Muschiks schossen
einen Sputnik ins All, pferchten die Laika rein und gaben ihr nichts zu
fressen.« Viele Menschen waren über dieses Lied empört, die Rock-Around-The-Clock- Melodie war aber bestechend, und
den Text kannte bald jeder. Die arme Laika war allerdings an Überhitzung und
Streß gestorben, nicht an Hunger. Ihre Wegzehrung - vergiftetes Essen - hatte
sie sogar dabei. Mein Freund Skopka blieb von jedem störenden und
nebensächlichen Treiben in der Stadt unbeeindruckt, entschloß sich vielmehr,
den Boom zu nutzen und statt eines Hundes die viel leichteren Fliegen in den
Himmel zu schicken. Eine Rakete hatte er zwar noch nicht - sprach nur vage von
irgendwelchen Tests und Brennkammern -, als erstes wollte er lieber seine
Kosmonautinnen auf Vordermann bringen. Das wichtigste Trainings- und
Foltergerät war eine selbstgebastelte, durch einen kleinen Elektromotor
angetriebene Zentrifuge. Die half ihm bei der Selektion der Fliegen effektiv,
und die stärksten Tiere kamen nach drei Durchläufen in ein geräumiges und gut
belüftetes Glas mit dem besten Futter. Dazu muß man wissen: Viele der Fliegen
überlebten nicht einmal die erste Drehzahlstufe. Von seinen trainierten
Spitzenexemplaren gab er mir am Ende leider kein einziges ab. Skopkas
Einstellung zum Leben - so etwas wie sein Lebensmotto - entsprach mir trotzdem
sehr: Auch eine Fliege muß

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