Faktor, Jan
Linie natürlich wegen uns Kindern, wollten
uns wachsen und reifen sehen, und sie wurden in der Reihe der großen Dreizehn
alle schon einmal aufgezählt. Besuchsweise kam zu uns noch die in dieser
Aufzählung ebenfalls vorkommende Zilli, die öfter aus ihrer Kleinstadt nach
Prag reiste und bei uns dann einige Tage wohnte - bei extremen
Wetterverhältnissen waren es manchmal Wochen, ihr Häuschen war etwas baufällig.
Zilli war nicht - wie Tante Bombe - die ehemalige Geliebte eines
Anwaltskollegen meines Großvaters Schornstein, sie stand auf der Wertskala
bedeutend höher. Sie war die LEIBLICHE GELIEBTE dieses Großvaters und war eine
kleine und wunderschöne Dame. Ihre edle Herkunft sah man ihr sofort an. Über
meinen Großvater Schornstein muß man unbedingt folgendes wissen - er war in
unserer Familie das präsenteste aller Phantome, obwohl er schon lange vor dem
Krieg gestorben war. Er konnte zwar nicht mehr zum Leben erweckt werden, dafür
hatte er genügend Zeit, wie mir oft versichert wurde, uns allen vom Himmel aus
zuzusehen.
Zilly und
ihre ehemalige Rivalin - meine Hauptgroßmutter Lizzy - verstanden sich
prächtig. Zilly und Lizzy waren seit langem die engsten Vertrauten, die alten
Wunden hatten sich sogar schon vor dem Krieg gewandelt oder verflüchtigt. Die
beiden Frauen konnten sich stundenlang unterhalten, abendelang über die
wunderbaren Extravaganzen und unerhörten Scherze ihres geliebten Mannes und
genauso geliebten Liebhabers austauschen. In seiner Kanzlei hatte Joseph
Schornstein nur stundenweise gearbeitet, möglichst nur vormittags. Dann ging er
ins Cafehaus Royal, um seine Freunde, mitunter auch seine Frau zu treffen und
mit ihnen allen seine Spaße zu treiben. Zum Skifahren in die Alpen fuhr er am
liebsten mit seiner Geliebten - also mit der sportlicheren Zilly. Mit Zillys
Ehemann ging er regelmäßig fechten. Die beiden Männer waren die besten Freunde.
Wenn ich
in Gedanken durch die vielen Räume unserer Prager Wohnung streife, überkommt
mich das Gefühl, daß es dort vor Lustemissionen pausenlos geflimmert haben muß.
Egal, wohin ich ging, traf ich eine Frau, die mich anlächelte und von mir
begeistert war. Ich wurde oft ungebremst und unkontrolliert von physisch
spürbaren Glückswellen überflutet. Auch der wunderbare Duft dieser Frauen muß
mich stark gemacht und geformt haben. Wie man heute genau weiß und farbfleckig
illustrieren kann, unterlaufen gerade die Duftreize die großhirnrindliche
Prüfinstanz, strömen ungefiltert in das limbische System und beschießen
mitunter munter auch den Schwanz.
Die
Schattenseite meines Erwachsenwerdens war dadurch vorgezeichnet: Außerhalb der
Wohnung wurde ich vollkommen anders behandelt. Ich wurde mit giftigen Düften
traktiert, mit steifen Gesichtszügen abgebügelt, mit verständnislosen Blicken
in den Boden gestampft. Und wenn ich jemanden zu bedürftig anglotzte, konnte
dieser böse Fremdling auch furchtbar feindselig werden. Ich hörte trotzdem
nicht auf zu hoffen. Zum Ausgleich schmiß ich manchmal Steine in provokant
wirkende Fensterscheiben.
Meine
Bereitschaft zu lieben war mir sicher anzusehen, und ich wurde bei der ersten
Gelegenheit, die sich anbot, und ohne daß ich die auf mich zukommende
Gefühlseruption vorausahnen konnte, eines Tages zum Lustknaben erwählt. Es war
bei einer Busfahrt, die vom Schriftstellerverband - dem Arbeitgeber meiner
Mutter - organisiert worden war und bei der die aufgeweckte Jugend historisch
wertvolle Burgen und Schlösser besichtigen sollte. Der Tag zog sich hin, die
Besichtigungen waren langweilig, und wir entfernten uns immer weiter von
unserer mütterlichen Großstadt. Die Rückfahrt war dann endlos. Auf den besten
Plätzen - als diese galten selbstverständlich die auf der hinteren Sitzbank,
weil sie von den mitfahrenden Erwachsenen am schlechtesten zu überblicken waren
- versammelten sich einige geschlechtlich akzelerierte Mädchen, die das Pech
hatten, keine adäquat entwickelten Jungs bei der Hand zu haben. Als es dunkel
wurde, sprachen sie mich und meinen ebenfalls niedlich aussehenden Freund an
und luden uns zu sich nach hinten. Dann legten sie los. Wir - klein wie wir
waren - saßen abwechselnd auf den Schößen der liebeshungrigen und zahlenmäßig
überlegenen Schriftsteller- und Lektorentöchter und wurden pausenlos bearbeitet
- das heißt geküßt, liebkost, weitergereicht und zurückgezerrt. Es war
unendlich schön, und ich hoffte, der Fahrer würde sich verfahren, nie wieder
nach Prag
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