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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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anderen meinen Vater
betreffenden Sorgen zusammengehangen haben könnte. Aber vielleicht war Onkels
Bauch doch der eigentliche Musterhorrorbauch meiner Kindheit. Als ich viel
später zum ersten Mal einen weißen Riesenbovist auf einer Wiese fand und
überhaupt nicht wußte, was für ein Gottesgeschöpf das war, mußte ich als erstes
an meinen Onkel ONKEL denken.
    Andere
männliche Körperteile - brisanter als Finger, Beine oder Bäuche - bekam ich
woanders zu sehen. Als ich einmal meinen Freund Petr Skopka auf dem Weg zur
Schule abholen wollte, passierte, was passieren mußte. Ausnahmsweise hatte ich
an dem Tag noch etwas Zeit, mein Entschluß, bei Skopka vorbeizuschauen, fiel
spontan. Trotzdem war es längst überfällig, an Ort und Stelle über unsere
zukünftige Kooperation zu verhandeln. Es ging um seine dressierten Fliegen und
die weiteren Ausbaustufen ihrer Ausbildung. Ich kam hoch, Petr war noch im Bad,
und ich sollte mich im dunklen Flur auf einen Stuhl setzen und warten.
Plötzlich ging eine Tür auf, und etwa in meiner Kopfhöhe erschien ein dicker,
schräg zur Decke weisender Besenstiel. Ich kam mir vor wie im Kasperltheater.
Jemand schob den Stiel weiter und weiter in den Zuschauerraum hinein - und erst
dann erschien Vater Skopka, aus dessen Schlafanzughose das dunkle Holzstück
hinausragte. Da er noch verschlafen war und seine Brille nicht aufhatte, sah er
mich nicht und verschwand wortlos auf der Toilette. Der Gummizug seiner Hose
war ziemlich schlaff - daher hatte sein Beinkleid nur vorn an dem steifen Haken
etwas Halt. Hinten war Vater Skopka unbedeckt, seine Pobacken wackelten
vollkommen frei. Ich erstarrte. Aus dem Kinderzimmer von Petr roch es nach den
Behältnissen der gefangenen Fliegen, die über Nacht oft massenhaft verendeten.
Mir wurde in der stickigen Luft des fensterlosen Flurs leicht übel, verstärkt
wurde mein somatisches Entsetzen durch eindeutige und häßliche Geräusche aus
der Toilette. War Herr Skopka ein Mutant oder ein Behinderter? Der Anschauungsunterricht
bei mir zu Hause war einseitig und eindeutig unzureichend. Der Penis meines
Onkels war in meiner Phantasie winzig, weich und weiß - weiß wie alles andere
an ihm.
    Mein
Freund Skopka wurde kurz danach in die Küche geschoben, seine Mutter hatte noch
ihr Nachthemd an. Frauen im Neglige waren für mich nichts Besonderes, und ich
wollte mitgehen, Skopkas Mutter gab mir hinter dem Rücken ihres
appetitgestörten Schlechtessers aber stumme, trotzdem eindeutig abweisende
Handzeichen. Ich sollte dort bleiben, wo ich war. Die Küchentür ging zu, die
besorgte Frau wollte ihren Sohn beim Frühstück bewachen und ihm jede Ablenkung
ersparen. Meine Beine wurden unruhig, und ich wußte nicht, was ich mit dem
gewaltigen Eindruck, den Vater Skopkas Apparat auf mich gemacht hatte, anfangen
sollte. Instinktiv fühlte ich, daß es nicht klug gewesen wäre, seine
möglicherweise kompetente Frau zu befragen. Mir stand außerdem noch die nächste
Begegnung mit ihrem Monstermann unmittelbar bevor. Ich öffnete leise die
Wohnungstür und rannte weg.
    Meinem
Freund Skopka - dem Kind aus einem Raritätenkabinett - durfte ich den Grund für
meine Flucht nicht verraten. Ich mußte mich taktisch verhalten. Sein
Versprechen, mir einige von seinen Kosmonautinnen abzutreten, stand auf der
Kippe. Die gerade beschriebene Penisparade fiel in die Zeit der sowjetischen
Erfolge im Weltraum. Die vierdüsigen Trägerraketen des legendenumwehten Sergej
Koroljow explodierten nicht andauernd wie die amerikanischen - jedenfalls nicht
vor aller Augen -, der Sputnik demonstrierte der ganzen Welt die Überlegenheit
des Sozialismus, und die Hündin Laika zeigte die Perspektiven des Lebens und
Sterbens im Weltall auf. Ich kann mich noch an die gigantisch überhöhte
Stimmung erinnern, die nach solchen kosmosbezwingenden Großtaten auf den
Straßen von Prag herrschte. Ohne jegliche Vorwarnung und im Widerspruch zum
üblichen Alltagstrott wurde es plötzlich höllisch laut, und die triumphale
Musik ließ einen im ersten Schreck an Kleopatras Einzug in Rom denken. An den
Straßenlaternen hingen damals noch überall riesige Lautsprecher. Deshalb konnte
man in jedem beliebigen Moment, bei jedem beliebigen Anlaß dezibelstark
terrorisiert werden, die Stadt konnte sich flächendeckend wie auf Befehl in
einen Festsaal voller Musik und Gefühlstaumel verwandeln. Eine ähnliche
Inkongruenz zwischen Stimmung, Ausstattung und Ambiente konnte man später,
nachdem das Absurde Theater

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