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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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gegen Ende ihres Lebens etwas
freundlicher und zugewandter sein konnte, rettete sie nicht.
    Meine
Mutter war im Grunde meine erste Geliebte, die ich quälen durfte. Größtenteils
tat ich es sogar mit Genuß. Als Sohn meinte ich, dazu einigermaßen das Recht zu
haben.
     
    fassgolt
    Natürlich
hatten wir in der Klasse einen Juden - und der benahm sich so, wie es von einem
Juden auch zu erwarten war. Er hielt sich oft abseits von allen, hatte zu
tausend Dingen eine andere Meinung, und wenn er einen anschaute, sah man in
seinen Augen immer so etwas wie eine Herausforderung - wenn nicht sogar Spott.
Außerdem tanzte er auch bei ganz harmlosen Dingen gern aus der Reihe. Wenn bei
einer Klassenunternehmung alle versuchten, auf dem Bürgersteig nur auf die
Flächen mit den blaßrosa Pflastersteinen zu treten, lief er garantiert auf den
blauen Teilen des Musters. Solche Exzesse wollte ich eines Tages nicht mehr
dulden und beschloß, ihn zur Rede zu stellen. Das bedeutete damals nichts
anderes, als unsere Körperkraft und unser Geschick sprechen zu lassen. Meine
Bande stand geschlossen hinter mir, und wir lauerten Fassgolt eines Tages auf.
Fassgolt war aber ein sehr guter Läufer und Ausweichler, und er entkam uns. Das
zweite Mal entkam er uns wieder. Irgendwann erwähnte ich zu Hause das
unerträgliche Wesen von Fassgolt und gab dazu noch einen rassistischen
Kommentar ab.
    - Dabei
sieht er nicht unbedingt jüdisch aus.
    Meine
Damen waren entsetzt, bis Onkels Frau Eva sagte, sie kenne Frau Fassgolt
persönlich, und die Fassgolts seien überhaupt keine Juden. Vielmehr hätten sie
Vorfahren aus Südtirol.
    - Hat dir
das bis jetzt niemand gesagt, Georg? WIR sind doch JUDEN, wir alle hier, du
natürlich auch. Alle unsere Ärzte und fast alle unsere Bekannten sind Juden -
egal, ob sie im Dezember Weihnachtsbäume nach Hause schleppen oder nicht. Und
daß bei uns die Geburtstage meistens am Vorabend gefeiert werden - du hast dich
neulich darüber gewundert -, hat damit zu tun, daß jüdische Feiertage bereits
am Vorabend beginnen. Auch wenn wir uns sonst an gar nichts mehr halten...
    - Györgyi
hat noch einen Milchtopf! sagte Großmutter Lizzy - und ich auch. Aber die
Orthodoxen feiern die Geburtstage gar nicht, wißt ihr das überhaupt?
    Das alles
erschreckte mich maßlos. Daß man während des Krieges eine gewisse Zeit in einem
KZ zu verbringen hatte, schien in meiner Welt das Übliche zu sein. Mit dem
minderwertigen Jude-Sein stand es für mich überhaupt nicht in Verbindung.
Fassgolt bekam ab sofort meinen Schutz, und wir freundeten uns sogar vorsichtig
an. Wir sind trotzdem zwei sehr unterschiedliche Juden geblieben.
     
    viele
der fliegen überlebten nicht einmal die erste drehzahlstufe
    Wenn ich
mir meinen Onkel aus dem Gedächtnis holen möchte, sehe ich entweder seine
fetten, trotzdem aber flinken Finger oder seine weichen weißen Beine auf dem
Nierentisch. Selbstverständlich hatte mein Onkel - spätestens seit seinem
vierzigsten Lebensjahr - auch einen Hängebauch. Diesen sehe ich vor mir, aber
nur schwach und masseneutral. In meiner illustrierten Erinnerungschronik sind
es ausgerechnet seine haarlosen Beine, die ein wesentlich einprägsameres Bild
abgeben. Sein Bauch bereitete mir offenbar so viele zusätzliche Sorgen, daß ich
seine unerträgliche Existenz lieber ausblendete. Die Probleme, die einem Mann
eine solche Wulst bereiten mußte, kamen mir von klein auf gewaltig vor: Wie
schaffen es diese Männer, nicht andauernd nach vorn zu kippen? Kommt man mit
einem solchen Abstandhalter überhaupt tief genug zwischen die Beine der
begattungswilligen Frauen? Und wo finden die Hosen dieser Männer auf der
abfallenden unteren Bauchrundung einen vernünftigen Halt? Wieso rutschen sie
ihnen nicht andauernd auf die Schenkel? Der nächste Fragenkomplex betraf das
Wanst-Innere. Ich rätselte, ob es darin irgendwelche zusätzlichen Organe gäbe,
die diesen Volumenzuwachs ausmachten, oder ob nur der Magen-Darm-Trakt so aus
dem Leim ging und aus dem Ruder lief. Könnte sich ein derartiger Wildwuchs -
zeitzündergestützt - auch bei mir ereignen? Könnten sich die für diese
Bauchgärung zuständigen Hefesprossen in mir ansiedeln und später breitmachen?
Auf welchem Wege konnte man sich eventuell anstecken? In meiner eher
eingefallenen Bauchhöhle gab es keine Ausdehnungsräume für zusätzliche
Platzfresser, ich mußte mich vorsehen. Die männlichen Bäuche prägten sich mir
auf alle Fälle sehr früh ein, was eventuell auch mit

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