Faktor, Jan
allem auf reiner
Muskelkraft - die Arbeiter, es waren an die fünfzig Mann, standen überall in
Grüppchen herum oder waren am Rande mit irgendwelchen Vorbereitungen
beschäftigt. Auch die unvermeidlichen Zuschauer gingen irgendwann in Position
oder nahmen sich vor, später wiederzukommen. Als ich kleiner war, hatte ich das
Problem, daß ich nachts nicht allein auf die Straße durfte. Meine Mutter hatte
bei einer Elternversammlung dankend aufgeschnappt, daß Grundschulkinder bis
zwanzig Uhr zu Hause zu sein hätten. Es war ein übler mutterherrschaftlicher
Trick, um mich zu bändigen und zusätzlich zu knechten. Ich mußte mich damals
also, wenn ich diese Kreuzungswiedergeburten hatte verfolgen wollen, heimlich
anziehen und mich hinausschleichen.
Die
Arbeiter legten Punkt zweiundzwanzig Uhr los. Alle umliegenden Straßen wurden
abgesperrt, und auf der ganzen Kreuzung begann es zu wimmeln. Die Männer
bewegten sich nicht unbedingt schnell, dafür aber hochorganisiert. Und ganz
wichtig: Alle ihre Griffe waren von einer gewachsenen Ästhetik. Man sah ihnen
ihren individuellen Stolz an, auch den Stolz auf den Mannschaftsgeist. Zu
diesem gehörte der Anspruch auf die bedingungslose Präzision jedes einzelnen.
Und sie wußten, wie genau sie beobachtet wurden. Im Sommer lief diese halbe
Hundertschaft natürlich mit nackten Oberkörpern herum. Auch einige ungewöhnlich
elegante und auffällig frisierte Herren fanden sich am Rande der Baustelle ein
- wie von riesigen Magneten aus weit entfernten Bezirken angezogen. Solche
feinen Gestalten hatte ich in größerer Zahl nur bei diesen Gelegenheiten zu
sehen bekommen.
Bei der
unter Leistungsdruck stehenden Aktion mußte jeder Handgriff zum richtigen
Zeitpunkt erfolgen. Alle möglichen Teilmontagen auf Nebenschauplätzen waren
aufeinander abgestimmt, Vorarbeiter verständigten sich bei dem hymnischen
Riesenkrach mit ausgeklügelten Handzeichen. Außerdem führten die Arbeiter ab
und an gewisse Glanznummern auf. Ich liebte es besonders, wenn mit
Vorschlaghämmern lange eiserne Pflöcke in die Erde gerammt wurden. Es sprach
nichts dagegen, diese Arbeit einen einzigen Mann machen zu lassen, man stellte
dafür aber immer zwei ab. Das auf die beiden zukommende Problem bestand vor
allem darin, sich räumlich-rhythmisch einwandfrei abzustimmen und zu ergänzen.
Die beiden Männer stellten sich frontal zueinander, der Pflock steckte mittig
zwischen ihnen. Dann ging es abwechselnd und im atemberaubenden Rhythmus los.
Weil das Tempo so hoch war, schob sich der zu versenkende Stab erstaunlich
schnell in den Boden, etwas ruckartig, ähnlich gleitend, wie es beim Daumenkino
der Fall gewesen wäre.
Und es war
wie im Kino. Diese rasende Hauerei, bei der im schnellen Takt zwei schwere
Hämmer aneinanderglitten, abwechselnd aus großer Höhe knapp am Kopf des
gebückten Partners vorbeisausten und das Ende des Pflocks TREFFEN MUSSTEN, war
umwerfend. Das war höchste Kunst, diese Hauerei war gleichzeitig auch die beste
Musik für meine Ohren.
Zum
konkreten Ablauf der Hauerei noch folgendes: Nach dem erfolgten Schlag auf den
Pflock mußte der nach vorn gebückte Arbeiter immer sofort links zur Seite
weichen, weil der Riesenhammer seines Gegenübers schon auf den Weg in Richtung
seines Hinterkopfes geschickt worden war - und zwar ohne jede Rücksicht. Der
fallende Hammer nahm bald schon an Geschwindigkeit zu, der untere Mann richtete
sich in einem kleinen seitlichen Bogen behende auf, die Bahn und die
Aufprallstelle waren nun vollständig frei, der beschleunigte obere Hammer
sauste weiter und schlug dann mit voller Wucht zu - und der inzwischen oben
angekommene Mann sammelte sich längst schon gleitend zu seiner Entladung, sein
Hammer war bereits im Zenit, der Mann legte los, ließ seinem jetzt gefragten
Hammer seine Muskelkraft zukommen und konnte dabei genausowenig darauf achten,
wo sich der Kopf seines Kumpans in diesem Moment befand. Die Vollkommenheit des
Zusammenspiels ergänzte die Schönheit der beiden pulsierenden Körper noch
zusätzlich. Viele der anderen Arbeiter schauten während dieser kurzen
Intermezzi zu, trotz des Zeitmangels - auch sie wollten den Anblick genießen
und nicht allein den Bordsteingästen das ganze Vergnügen überlassen. Tack - tack
- tack - tack - tack - tack ... Ich erlebte nie, daß einer der Männer
danebengehauen, den Partner in rhythmische Bedrängnis gebracht oder umgebracht
hätte. Das schnelle Trommeln, das angesichts der großen Masse der Hämmer
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