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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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unseres Beobachtungspostens bekam wie aus heiterem Himmel - und sogar
gleichzeitig - ein ganz anderes Gericht vorgesetzt. Und alle hatten das gleiche
bestellt: fettriefende riesige Schnitzel, die groß wie großflächige
Pußta-Palatschinken waren.
    - Nein!
rief meine Mutter plötzlich laut.
    Viele der
Freßsäcke blickten wegen dieses lauten Gefühlsausbruchs böse auf, und meine
Mutter entschuldigte sich umgehend mit einigen höflichen Handzeichen, legte
sogar ihre Hand kurz auf ihren ungezogenen Mund.
    - Ist mir
rausgerutscht, tut mir leid, sagte sie noch halblaut in ihrem Prager Deutsch.
    - Was ist
los? fragte ich.
    - Die
Schnitzel schwimmen auch in einer Soße, ich glaube in der gleichen braunen Soße
wie das Schmorfleisch, stell dir das vor! Die knusprige Panade wird doch gleich
vollkommen pappig - und das sind dann doch keine Schnitzel mehr, oder?
    Die
Fresserei ging weiter, schmutzige Teller wurden nach einer längeren Wartezeit
sogar weggetragen - nicht ganzsystematisch, eher nach einem Zufallsprinzip,
aber immerhin. Streng global betrachtet dauerte der allgemeine Stillstand aber
doch weiter an. Dieser Eindruck wurde durch die Körperhaltung derjenigen Gäste
unterstrichen, die eindeutig längst fertig waren, trotzdem aber regungslos
sitzen blieben. Manche hatten sogar schon bezahlt, wie wir mit unseren eigenen
Augen sehen konnten. So nahm ich schließlich an, daß die Sitzenbleiber ihre
Tische mit Absicht blockieren wollten, und ich bekam Angst um uns. Die
Atmosphäre im Raum war jedenfalls weiter voller offener Fragen, die mir und
meiner Mutter das Warten nicht einfacher machten. Ich mußte an eine Situation
in einem Prager Park denken, wo ich auf einer Bank Mayonnaisesalat essen wollte
- direkt vom weichen Packpapier, in dem ich die leckere Pampe gekauft hatte.
Ich aß das schmierige Zeug mit Hilfe eines Brötchens, ich aß es unelegant,
unappetitlich und unverschämt - einfach eine Spur zu öffentlich. Und ich kam
mir dabei - je mehr mayonnaiseverschmiert ich war - wie ein Sabberschwein vor.
Viele schauten mich angewidert an, und ich verstand es erst einmal nicht ganz.
Trotzdem mußte ich den nicht essenden Parkbesuchern nachträglich recht geben -
an meinem Verhalten war natürlich etwas Anstößiges. Ich hatte mich wie ein
überbedürftiger, ärgerniserregender Oralonanist und -exhibitionist aufgeführt.
Vielleicht schämten sich diese Menschen hier in der ostdeutschen Freßarena
auch, ähnlich wie ich damals. Zweihundert Menschen, die sich schämten - so
gesehen konnte diese Art Speisung der Fünftausend keine gutchristlichen
Schwingungen erzeugen. Meine Mutter zog sich von der Tür etwas zurück, ich
blieb die ganze Zeit in der zur Hälfte offenstehenden Einlaßpforte stehen und
versuchte, den Überblick zu behalten - nebenbei kam ich mir wie ein nicht ganz
machtloser Blockältester vor.
    Die
schleppende Abfertigung der Betonsaalgemeinde kam partiell doch leicht voran,
in manchen Territorien tat sichdagegen kaum etwas. Die dortigen
Sättigungsgemeinschaften wirkten inzwischen vollkommen erstarrt. Bei meiner
Supervision des Geschehens konzentrierte ich mich gelegentlich auf die Kellner,
die eventuell - wie ich auf einem Plakat im Vorraum gelesen hatte - Gastronomiefacharbeiter
hießen. Wenn die in dieser Einrichtung aktuell tätigen Facharbeiter gerade in
Aktion waren, machten sie einen fast professionellen Eindruck, wirkten bei
jedem ihrer Einzelauftritte aber extrem gehetzt - und wenn sie wieder
verschwunden waren, sah man sie immer eine ganze Weile nicht wieder. Halfen sie
zwischendurch etwa in der Küche aus und standen den mit Ohnmacht kämpfenden
Köchen bei? Die Stimmung der Kellnerschaft wurde - trotz ihrer Absenz-, das
heißt Gäste-Ausbiend-Zeiten - jedenfalls nicht besser, verschlechterte sich
eher mit der Zeit, und besonders bei einem der Kellner hatte ich das Gefühl,
daß er die in seinem Bereich ausharrenden Belästiger am liebsten mit Eimern
voller soßenangedicktem Spülwasser verjagt hätte. Hinter uns tat sich plötzlich
etwas. Ein für die Vorbereitung des Freßnachmittags abgestellter
Gastronomiefacharbeiter schob große mehrstöckige Wagen heran, in denen sich
diverse Torten mit unmenschlich hohen Schichten gehaltvoller Cremes und
Füllungen befanden. Diese Arbeitskraft fehlte jetzt aber eindeutig im Saal! Das
Kaffeetrinken stand bei den Ostdeutschen aber offenbar extrem hoch im Kurs. Das
Kaffeetrinken und Kuchen-Allemachen war hier im Lande eventuell sogar ein
tägliches MUSS,

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