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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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zwangen
wir uns nicht unbedingt aus Vorsicht, sondern um nicht unnötigerweise unsere
Kräfte zu vergeuden.
    Ich wollte
mir den Anblick des flächendeckenden Eß-kampfes kurz ersparen und wandte mich
zu meiner Mutter um.
    - Der
normale Mensch weiß einfach nicht, was er ißt. Er weiß nicht, wieviel an
unsichtbarem überschüssigem Fett er tagtäglich verschlingt, wie viele Augen,
Schlachtabfälle und undefinierbare Reste beispielsweise für die fein
durchgedrehten Wurstsorten verwendet werden. Dieses Blaßrosa, wenn ich das
schon sehe! Die todestolle Mortadella, der düstere Blutschinken ...
    -
Bierschinken heißt das eher - und der ist hell.
    -
Würstchen bestehen bis zu fünfunddreißig Prozent aus reinem Fett, weißt du das?
    - Nein.
    - Und dann
noch dieses unsägliche FRITTIEREN! Frittierte Leckereien saugen von dem
Flüssigfett unglaublich viel auf - und zum Frittieren werden häßlich gesättigte
Fette benutzt. Die ganzen fettigen Feinheiten und Fett-Unterschiede
interessieren die Leute aber auch nicht.
    Ich
unterhielt meine Mutter mit meinem oecotrophologischen Wissen eine Weile, um
uns die Zeit zu vertreiben. Ich hatte aber noch ganz andere Ideen, der Hunger
brachte mich in Rage.
    - In
diesen sattmachenden Substanzen stecken unglaublich viele geheime Kräfte, glaub
mir. Mit einem solchen Energieüberschuß könnte man auf Anhieb ganze Armeen auf
Vordermann bringen und sie sonstwohin, diesmal vielleicht bis nach Wladiwostok
marschieren lassen.
    - Georg,
ich kann nicht mehr zuhören, stöhnte meine Mutter.
    -
Eigentlich müßten diese Leute Eßbares aus ihrem Inneren eher abgeben, Nahrung
einfach für andere produzieren,sich regelmäßig etwas abschneiden und an
Hungernde verfüttern, oder? Oder sie könnten auf ihren breiten Schenkeln mobile
Beete anlegen und dort Gemüse anbauen - was weiß ich, auf jeden Fall alles
andere tun, als jeden Tag noch weiter zu essen.
    Daraufhin
erblickte ich plötzlich eine solche Sauerei, daß mir ein lautes und langes
PFUUUUI! ausrutschte - und dieser Aufschrei war viel lauter als der längst
verhallte meiner Mutter, der die soßenweichen Schnitzel leid getan hatten.
    - Was
macht er denn - co to delä? DER MENSCH GIESST SICH LIMONADENSIRUP IN SEIN BIER!
    - Hast du
das noch nie gesehen? SEI ABER LEISE, bitte. Es ist kein normales Bier. Hier
essen die Leute sogar riesige Fettberge vom Schweineknie - der Anblick hätte
dich heute bestimmt umgebracht.
    Irgendwann
kamen wir an die Reihe, unsere Vorfreude hielt sich aber in Grenzen. Auch wegen
der wütenden Gesichter der Bedienung. Wir waren nicht aus Görlitz und waren
extrem spät dran. Wir entschieden uns für die sättigende Einheitssuppe, auf die
wir eventuell nicht allzulange würden warten müssen - also die Soljanka. Diese
war offenbar noch nicht ausgegangen und kam überraschend schnell an.
Frecherweise verlangten wir, als wir beliefert wurden, etwas mehr Brot. Was wir
bekamen, war aber eine Belehrung über das streng geregelte Angebot. Schließlich
zweigte man für uns aber doch noch eine - eine einzige - diagonal
durchgeschnittene und leider pappige KALTE Toastbrotscheibe ab. Wir bedankten
uns höflichst. Zum Hauptessen entschieden wir uns für etwas, was eigentlich
eine Vorspeise war - Ragout fin. Meiner Mutter hatte es in der DDR einmal gut
geschmeckt, und sie empfahl es mir. Es ging auch darum, schnell satt zu werden
und möglichst schnell wieder zu verschwinden. Als wir bestellen durften, traute
ich mich natürlich nicht, noch einmal Brot zu verlangen, bat dafür um eine
Portion trockener Kartoffeln als Beilage.- Könnten wir trocken Kochkartöffeln
noch haben? Eine Portie?
    Der Blick
des Kellners war tödlich.
    -
Sättigungsbeilage extra? Das sehen wir hier ÜBERHAUPT NICHT GERN!
    Im selben
Moment kam es zu einer seltenen Begegnung zweier Kellnerkollegen - und der
gerade vorbeihuschende sagte wie nebenbei laut:
    -
Kartoffeln? Die Kartoffeln sind knapp, geht nicht.
    - Sind die
Geschäfte noch offen? fragte meine Mutter.
    - Wie soll
ich das wissen?
    Beim
Weggehen drehte sich der Mann wie ein Triumphator doch noch um und sagte:
    - Alle
Läden haben um diese Zeit längst geschlossen. Wir warteten auf unser Ragout fin
und wußten, daß wir würden versuchen müssen, auf der polnischen Seite auf
Brotraub zu gehen. Einige Konserven als Proviant für Notfälle hatten wir dabei.
Aber vielleicht gäbe es in Polen sogar Spätverkaufsstellen. Wir warteten wieder
endlos, und ich gab schuldbewußt zu, unsere Reise, was die

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