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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Verpflegung anging,
schlecht durchdacht und vorbereitet zu haben. In Polen könnte es, fiel mir
nebenbei ein, irgendwelche Versorgungsprobleme geben.
    - Wir sind
als Tschechen einfach verwöhnt, tröstete mich meine Mutter. Bei uns kann man in
jeder einfachen Kneipe gut essen.
    Irgendwann
bekamen wir ein Fläschchen Worcestersoße auf den Tisch geknallt. Danach tat
sich wieder lange nichts. Nach weiteren etwa zwanzig Minuten erreichten uns die
beiden bestellten, leider erschreckend kleinen Schüsselchen mit einer
weißlichen, nicht leicht definierbaren Soßenmischung. Immerhin roch sie aber
interessant, und wir konnten unser Glück kaum fassen. Ich stocherte kurz unter
der Soßenoberfläche, entdeckte darin grüne, mir unbekannte Beeren, meine Mutter
begann dagegen sofort zu essen.Plötzlich bekam sie einen unbeschreiblich
entsetzten Gesichtsausdruck - wie ein kleines Kind, das in seinem Mundraum zum
ersten Mal von einem dicken Erwachsenenhaar überrascht worden war. Mutter
spuckte den Mundinhalt wieder aus, und wir beide entdeckten in unseren
bescheidenen Ragout-fin-Schüsselchen dicke Schwarten, aus denen relativ lange
Schweineborsten herausragten.
    -
Eigentlich macht man Ragout fin aus Hühnerfleisch, meinte meine Mutter.
    An der
Grenze waren wir an diesem Tag schon einmal im Krieg gewesen, jetzt kam er zum
zweiten Mal auf uns zu. Wir würden uns beschweren müssen und mußten in dieser
geladenen Atmosphäre mit dem Schlimmsten rechnen.
    -
Vielleicht steht uns eine Scheinerschießung mit einer Erbsenkanone bevor,
versuchte ich die Stimmung zu heben.
    Zum Glück
tangierte uns im Parallelgang die einzige weibliche Fachkraft, sie hatte noch
die sanfteste Ausstrahlung von allen. Ich winkte ausladend und erregt mit
beiden Händen. Sie durfte uns jetzt nicht entwischen. Als sie angestolpert kam,
merkte ich, daß sie stark kurzsichtig war.
    - Sehen
Sie mal bitte ... das sind Borsten.
    Sie
verstand im ersten Moment nicht ganz, worum es ging, das Ragout fin war in
ihrem Lokal sicher sehr beliebt. Sie beugte sich aber höflich nach vorn und
untersuchte unsere Schüsselchen aus nächster Nähe. Ich untersuchte nebenbei
ihren Busenansatz. Sie sagte dann nüchtern:
    - Sie
haben recht, das kann man wirklich nicht essen ... ist aber berührt. Sie müssen
beide Portionen bezahlen.
     
    ich
bekam giftig rote haare und brandwunden von der kochenden granatenfüllung
    Nach dem
Bewirtungsdrama fuhren wir zum Grenzübergang, wo es dank des sogenannten
»kleinen Grenzverkehrs« relativ lebendig war. Die deutschen Traditionalisten in
Uniform waren nicht verbissen, und wir überquerten die Neiße ohne Probleme. Die
polnischen Landstraßen waren zum Schnellfahren nicht geeignet, waren aber viel
besser, als ich erwartet hatte. Die künstliche Normalität von Ostdeutschland
lag hinter uns, und obwohl in den Dörfern einiges nach Armut und hartem Leben
aussah, fühlten wir uns beide wesentlich entspannter, unterhielten uns aber
kaum. Viele Dorfleute waren zu Fuß unterwegs, hatten kleine Handwagen dabei -
und die meisten außerdem Harken, Sensen, Äxte, Spaten auf ihren Schultern -,
andere waren auf ihren Feldern oder an ihren Behausungen schwer beschäftigt.
Dabei wirkten sie auch beim Anstreichen von Zäunen in Schieflage angenehm
gelassen. Und ich fühlte mich dauernd, vor allem außerhalb der Dörfer, an
vergangene Zeiten erinnert. Neben den üblichen großen Feldern sah man auch
schmale, winzige, also nicht zusammengepflügte Handtuchfelder, die fast wie
aneinandergereihte Gemüsebeete wirkten. Im gesamten Ostblock war die
Kollektivierung mehr oder weniger rigoros durchgesetzt worden - ausgerechnet in
Polen, wie auch in Jugoslawien, war sie gescheitert.
    Der erste
Eindruck von Krzystkowice war vollkommen unspektakulär. Am Stadtrand gab es
einige kleinere Industriebetriebe, ansonsten sah die Stadt überhaupt nicht wie
eine richtige Stadt aus. Und sie verriet nicht, in welcher Richtung sich so
etwas wie ihr Zentrum befinden könnte.An einer weitläufigen und wenig belebten
Kreuzung bog ich - nur dem Gefühl nach - nach rechts ab, wo ich den Fluß
vermutete, und bald fuhren wir schon über eine Brücke. Rechts auf dem anderen
Ufer stand eine Kirche, oberhalb der Kirche gab es einen Hang, auf dem einige
Kühe weideten - Häuser gab es keine mehr, links und rechts sah man hier nur
Wälder. Laut meiner Karten hätten hier entweder Ausläufer von Krzystkowice
liegen oder wenigstens schon Nowogröd/Naumburg beginnen müssen. Die

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