Faktor, Jan
dachte ich - und an einem Wochenende durfte diese Eßpflicht
natürlich auch nicht unterbleiben. Aber wie stand es - eventuell kurz vor der
Erbrechgrenze - um das nachträgliche sportive TRIMMEN des Volkskörpers?
Unterwegs war mir zufällig ein Plakat zum Thema Volksgesundheit aufgefallen:
»Jedermann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport!«
Endlich
erhoben sich zwei Familien aus dem mittleren Abschnitt des Saals und wackelten
in Richtung des Ausgangs - also mir und meiner Mutter entgegen. Die Frauen
hatten unglaublich pralle Ärsche und zusätzlich seitlich hervorspringende
Hüften und Schenkel. Diese Körperpartien waren so mächtig und überproportional,
daß sie den Charme von unter den Röcken linksseitig und rechtsseitig
angebrachten Kinderbadewannen verbreiteten. Die Männer trugen wiederum so viel
an körpereigener Biomasse um ihre Brustkörbe herum, daß ihre abstehenden Arme
wie leicht gelüftete Flügel wirkten - ähnlich wie man es bei den ans Fliegen
denkenden Putern kennt. Diese Mannesmänner mußten durch die Reihen der
Sitzenden daher mit seitlich verdrehtem Oberkörper schreiten. Dabei stießen sie
mit ihren vollen und schwer überblickbaren Rundbäuchen gegen etliche Schultern
der Sitzenden oder beschädigten die eine oder andere ordentlich hergerichtete
Kinderfrisur. Eine Weile war wieder kein einziger Kellnersoldat im Einsatz,
eventuell wollten sich diese verzweifelten Bewirtungskämpfer über ihren Haß
miteinander austauschen und sich dabei ihre Verzweiflungstränen abwischen. Was
ihre Facharbeiterqualen anging, hatten sie unsere volle Sympathie - einen
Rückzug anzutreten und das Warten aufzugeben kam für uns Hungergebeutelte
trotzdem nicht in Frage.
Wir
trauten uns natürlich nicht, den Raum eigenmächtig zu betreten. Die
freigewordenen Tische waren sowieso noch voller schmutziger Teller, ich behielt
sie genau im Blick. Kurz mußte ich den Mastodonten, die hinauswollten, Platz
machen - und mich streifte dabei kurz die Befürchtung, sie könnten in meiner
Nähe einen Kreislaufkollaps bekommen. Sie alle hatten gerötete Gesichter, von
Bluthochdruck tränenvolle, leicht hinausgedrückte Augäpfel, außerdem dicke Hälse,
die aus verschwitzten Hemden quollen. Zu unserem Erstaunen verließen sie das
Gebäude aber nicht vollzählig. Einige wollten sich draußen vielleicht kurz die
Beine vertreten, zwei kleine Abordnungen blieben überraschenderweise im Vorraum
zurück und pflanzten sich schweigend hinteruns hin. Und wir wußten gleich
Bescheid. Auch nachmittags würde es Probleme bei der Eroberung von Tischen
geben. Halb Görlitz und Umgebung würde die Halle stürmen und mit den fetten
Cremetorten die Sehnsucht nach dem finalen oder wenigstens halbfinalen Glück
stillen wollen. Und tatsächlich studierten die Leute hinter uns die in den zwei
Tortenmobils thronenden Kreationen, trafen schon ihre Vorauswahl und verglichen
murmelnd die Anzahl und die Höhe der einzelnen Cremeschichten. Ich stellte mir
vor, wie sie dann abends vor dem Fernseher noch ihre fetten Chips, gehaltvollen
Nüsse oder klebrigen Schokoladenriegel knabberten und dazu ihre ostdeutsche
Süßcola mit Vodka oder ihr Bier tranken. Und wenn nachts der Hunger doch noch
wiederkam, schoben sie sich sicher dicke Stullen mit Kalbsleberwurst voller
Schweinefett in die Hälse.
Als
Berufsträger in den Bergen hatte ich mich mit der Ernährung ausgiebig
beschäftigen müssen, um beim Lastenschleppen nicht zusammenzubrechen. Einige
Neuzugänge, die nur für die Ferien kamen und ihre Kräfte testen wollten, ließen
sich manchmal nicht beraten, aßen früh nur Haferflocken oder ein Stück Brot.
Oft mußten sie unterwegs ihre Kraxen stehenlassen und noch einmal kilometerweit
frühstücken gehen. Ich wußte ziemlich genau, wo wie viele Kalorien steckten.
Und Kalorien holten wir uns damals vor allem aus Fett. Auch alte slowakische
Bauern beurteilten damals Wurstsorten - selbst wenn es sich dabei um etwas
Edles wie die ungarische Salami handelte - nach ihrem Fettgehalt. Als Träger
mußten wir viel Fett essen, wir suchten damals regelrecht nach Wurstsorten, in
denen genügend versteckte Energien lauerten. Dann konnten wir die Touristen
beeindrucken, wie wir mit siebzig Kilo auf den Schultern zwar nicht sehr schnell
unterwegs waren, aber trotzdem immer noch aufrecht standen. In den Steigungen
schafften wir Hunderte von hohen Stufen hintereinander - bis zum nächsten
regulären Halt. Wir gingen ruhig undohne seitlich zu schwanken. Dazu
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