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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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eventuell schwierige Begegnung einigermaßen gut
gerüstet. Wir waren am Ziel und waren hier ohne weitere zusätzliche
Zwischenfälle angekommen. Ich war mehr als erleichtert und fühlte mich wie ein
gewöhnlicher Tourist, den im Grunde alles interessiert - und dem einfach alles
gefällt, was er zu sehen und an Fremdheit angeboten bekommt. In dem kleinen
Park hielt sich eine Ansammlung von bestgelaunten Trinkern auf. Sie hatten für
ihre Zwecke einige Parkbänke zusammengerückt und es sich dort gemütlich
gemacht. Da unser Auto auf der scharf beobachteten Kreuzung schon zum dritten
Mal aufgetaucht war, waren wir sicher längst ein Gesprächsthema gewesen. Alle
blickten voller Erwartung, einer ermunterte unskontinuierlich, näher zu treten,
schaufelte uns regelrecht heran.
    Dank
meiner vielen polnischen Kontakte in den slowakischen Bergen hatte ich keine
Probleme, mich mit Polen zu verständigen, meine Mutter auch nicht. Als wir
sagten, daß wir das Lager und die Fabrik suchten, gab es ein großes Hallo. Alle
wußten bestens, was wir meinten, und behaupteten, die Geheimnisse der
umliegenden Wälder genau zu kennen. Offenbar waren sie allesamt kleine Lokalhistoriker.
Und wir waren vielleicht seit einer Ewigkeit die einzigen Lagertouristen.
    - Jak
dlugo chca Pahstwo zostac? Bleiben Sie am besten eine ganze Woche, das Gelände
ist riesengroß, sagte einer.
    - Duzy
las    rozlegly, bardzo rozlegly teren, stimmten alle zu.
    Für alle
Tschechen klingt die polnische Sprache niedlich und friedlich, sie hat vor
allem - ganz egal, wer der Sprecher ist - einen kindlich unschuldigen
Einschlag. Und weil auch Erwachsene so kindhaft sprechen und scheinbar
unpassende Worte benutzen, tragen Begegnungen mit Polen a priori etwas
Belustigendes in sich. Manche Ausdrücke wirken veraltet, bei manchen ahnt man
zwar, was sie bedeuten, im Tschechischen träfen sie aber empfindlich daneben,
oder sie wären mehr als unangebracht, wenn nicht unanständig. So ist die
tschechisch-polnische Semikommunikation unausweichlich voller sprachlicher
Rätsel und kontextualer Überraschungen, im Grunde spielt sich dabei immer eine
Art unfreiwilliges Sprachkabarett ab - unabhängig von den Inhalten.
    Unter den
Männern gab es offenbar einen wirklichen Experten für die Geschichte der
Sprengstoff-Fabrik und der dazugehörigen Lager, dieser Mann war vor einer Weile
aber Zigaretten kaufen gegangen - und war nicht zurückgekommen. Wahrscheinlich
wurde er irgendwo aufgehalten, meinte jemand. Man schickte einen jüngeren
Burschen, ihn suchen zu gehen. In der Zwischenzeit fragten uns die Männer über
das und jenes aus, wollten zum Beispiel wissen, wo wir übernachten wollten.
    - Wir
suchen ein Hotel.
    Die Männer
mochten Witze und amüsierten sich köstlich.
    - Auch
nicht oben in Nowogröd?
    Sie
winkten verächtlich über den Fluß in Richtung des Hügels und benutzten dabei
mehrmals das beliebte Schimpfwort CHOLERA. Wir erfuhren nebenbei aber etwas
mehr über Christianstadt. Christianstadt war vor dem Krieg ausschließlich
deutsch, war reich und evangelisch gewesen - und als die Deutschen geflüchtet
und gegangen worden waren, wurde alles anders. Die Stadt wurde komplett neu
besiedelt, die meisten der Neuankömmlinge kamen von weit her, vor allem aus dem
Osten.
    - Die
evangelische Kirche brauchte man nicht mehr, und sie zerfiel. Auch die
Häuserreihe da drüben war irgendwann nicht mehr zu retten. Man riß alles ab.
    - Man
sieht nicht wirklich, daß es mal ein Markt war.
    - Alles
sollte anders, neu und schöner werden - so wie die Neubauten dort drüben.
    - Sie
können bei mir wohnen, ich habe ein Gästezimmer, schlug ein kleiner
rotgesichtiger Mann vor. Sie können bei mir sogar etwas zu essen bekommen, ich
arbeite als Koch in der Fabrikkantine. Mal sehen, was ich noch da habe.
    - War die
Dame schon mal hier? Im Krieg damals, meine ich, fragte ein anderer unserer
neuen Freunde.
    Einige
lachten ihn aus und meinten, die schöne junge Frau sei damals sicher noch ein
kleines Kind gewesen. Wir mußten uns entscheiden. Unterwegs hatten wir uns
vorsorglich darauf geeinigt, den polnischen Antisemiten nichts zu verraten.
Meine Mutter wollte vorgeben, Historikerin zu sein.
    - Ja, ich
habe hier gearbeitet.
    Von einer
Abkühlung der Stimmung war daraufhin nichts zu spüren. Niemand wurde verlegen.
Dabei war klar, daßmeine Mutter keine französische oder sonstige
Kriegsgefangene gewesen sein konnte.
    - Es war
furchtbar, ich wurde hier gegen Ende des Krieges auch

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