Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
würden also immer sein Schlafgemach
durchqueren müssen. In unserem Raum stand ein Doppelbett, in dem eventuell
früher die Eltern des Mannes geschlafen hatten, wenn sie dort nicht sogar
gestorben waren. Nach dem Zustand der Bezüge zu urteilen, wurde das Bett gut
frequentiert - eventuell von seinen Freunden. Meine Mutter wurde blaß. Und ihre
üppige Haarmähne plusterte sich sichtbar auf.
    - NIEMALS!
sagte sie, hier werde ich niemals schlafen. Hier sind bestimmt Wanzen. Im Lager
haßten wir sie mehr als die Deutschen.- Nie ma pluskw, meinte unser Mann, der
das tschechische Wort »stenice« offenbar kannte.
    -
Trotzdem. Sie müssen die Betten unbedingt neu beziehen, uns jedenfalls frische
Bettwäsche geben, sagte ich.
    Er hatte
aber gar keine, keine saubere jedenfalls. Ich holte unser Geld heraus und sagte
ihm, er solle sich von einem Nachbarn Bettwäsche leihen - und ihm etwas Geld
als Pfand geben. Oder die Bettwäsche gleich kaufen. Er ging und ließ uns
allein. Die Wohnung sah furchtbar verkeimt aus. Ich untersuchte schnell die
Küche, machte auch den Kühlschrank mit den angepriesenen Betriebsspeisen auf.
Der Mann hieß mit Nachnamen Olejnik, was man als Ölmann übersetzen könnte, er
hätte aber eher Maselnik oder Maszlowski - also Buttermann - heißen sollen. Der
Kühlschrank war gefüllt mit Butterklumpen in unterschiedlichem
Ranzigkeitszustand und Zersetzungsgrad. Dazwischen lagen diverse angegrünte
oder sogar stark begrünte Scheiben Wurst.
    - Alles
frisch aus der Kantine, sieht man.
    - Wir haben
viel zu wenig eingekauft, sagte meine Mutter. Und wir müssen sowieso hier weg.
Draußen sah es schon abendlich aus, unser geliehener Octavia, unser letztes
Zuhause, wartete treu vor der Tür. Unser Mann war nirgends zu sehen. Wir gingen
zurück zu der großen Kreuzung. Etwa fünfzig Meter weiter in Richtung der
städtischen Betriebe tauchten drei gestikulierende Gestalten auf, in einem
Knick der Straße stand außerdem eine andere Figur - schien aber nur auf der
Stelle zu treten. Danach sahen wir noch eine mit der Bechterewschen Krankheit
geschlagene, waagerecht nach vorn gebückte alte Frau. Die nach vorn geklappte
Oma blickte beim Gehen in ihr breites Hexenkörbchen, schien aber, trotz des
nicht vorhandenen Ausblicks nach vorn, auch ein Ziel vor Augen zu haben. Als
wir das begehrte Epizentrum der Gegend erreichten, klärte sich die Lage
schlagartig. In einer Nebenstraße befand sich die örtliche Spätverkaufsstelle.
Alle unsere Freunde waren dort, auch unser Quartiermeister, der einen Bündel
Wäsche über den Arm trug. Er trank Bier aus der Flasche, von unserem ersten
Geldschub hatte er aber sicher noch mehr eingekauft - zwischen seinen Beinen
stand eine Einkaufstasche.
    Wir wurden
von der Runde freudig begrüßt. Viele der übrigen Anwesenden schienen Bescheid
zu wissen, wer wir waren. Sie nickten uns lächelnd zu. Einige wirkten schon
stark angetrunken, und ich war froh, Karate trainiert zu haben. Die Stimmung
war aber friedlich, im Laden gab es sogar Obst zu kaufen, ich entdeckte noch
gutaussehenden Joghurt in Gläsern und zwei Sorten annehmbarer Fischbüchsen.
Eine davon war aus russischer Produktion. Das Brot war erstaunlich frisch und
billig, die Preise für Alkohol waren dagegen astronomisch. Ein halber Liter
gewöhnlichen Wodkas kostete 56 Zloty, es gab aber noch teurere Sorten. Bei
einem bescheideneren Verdienst von, sagen wir, eintausend Zloty waren
sechsundfünfzig Zloty eine Menge Geld. Draußen roch es leider, besonders an der
Flanke des Gebäudes, stark nach Urin und Exkrementen. Die Verkaufsstelle war
keine Kneipe und mußte selbstverständlich keine eigenen Toiletten betreiben.
Wir waren trotzdem guter Hoffnung, gingen noch - mit unserer Bettwäsche in den
Händen - zum Fluß spazieren, verzogen uns aber bald in unser Quartier und das
Doppelbett.
    Neben der
Mutter zu liegen und zu lesen war vollkommen ungewohnt und alles andere als
angenehm. Beide waren wir auf eine solche Zwangsannäherung überhaupt nicht
vorbereitet. Und zum Schlafen war es noch viel zu früh. Während der kribbeligen
Einschlafszeit hatte ich dauernd das Gefühl, einer Inzestvereinigung recht nah
zu sein - trotz der Absurdität aller anfallenden Vorstellungen.
    Eine
Schlägerei soll es in der Nacht doch noch gegeben haben. Unser Buttermann kam
irgendwann blutig nachHause, im Flur und auf der Toilette entdeckte ich schon
nachts etliche Blutspuren. Sein Kissen sah früh bunt und verkrustet aus, seine
Nase war geschwollen.

Weitere Kostenlose Bücher