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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Geschlagen hätten sich aber andere, erzählte er, er sei
nur auf dem Nachhauseweg hingefallen, über eine Wurzel gestolpert.
    - Wo sind
hier Wurzeln?
    - Ich habe
mich verlaufen. Wollen Sie nicht Butter zum Frühstück? Wurst habe ich auch.
Unser ortskundiger Lagerführer kam erst gegen zehn Uhr, wir standen schon fast
eine Stunde auf der Straße und waren unruhig. Der Mann entschuldigte sich - er
hätte unbedingt gut ausgeschlafen sein wollen. Und er hätte noch einen jüngeren
Freund aus dem Bett holen müssen, der unbedingt mitkommen wollte. Die beiden
erklärten uns, man würde mit dem Auto überall gut hinkommen, bis tief in den
Wald. Anschließend wurde uns erläutert, daß sie für die Führung etwas Geld
haben wollten. Zweihundert Zloty, ich stimmte zu und bezahlte im voraus. Der
jüngere Mann verschwand sofort mit einem der Geldscheine und kam mit einer
Flasche Wodka zurück. Wir fuhren los in Richtung der Wälder, durch die wir am
Vortag gekommen waren. Schon kurz hinter der Stadt sollte ich nach rechts
abbiegen, es war der zweite oder dritte vollkommen unscheinbare Waldweg. Ich
hielt erst einmal an - die Einfahrt war eindeutig verboten. Das entsprechende
Schild stand nur etwas schief und war angerostet, auf dem Waldboden lag
außerdem eine noch lesbare Warntafel.
    - Wir
könnten hier auch parken, sagte ich.
    Die Männer
winkten verächtlich und meinten, in Polen hielte man sich nicht an Verbote.
Auch bei heruntergelassenen Bahnschranken schlängele man sich hindurch, wenn es
möglich sei. Deswegen gäbe es in Polen praktisch keine dieser einseitigen
Schrankenstummel, diese würde man einfach umfahren.- Außerdem: Sie wollen für
die Rückfahrt sicher Ihre vier Räder behalten, oder?
    - Gibt es
hier irgendwelche Orientierungstafeln? Oder etwas zum Gedenken?
    - Nein,
nichts, nirgends.
    - Sind wir
eventuell schon in Schlesien? fragte ich noch. Unterhalb der Stadt wechselte
die Grenze die Uferseite.
    - Nein,
hier war noch Brandenburg.
    - Mutter,
hör mal, auf der Karte konnte man das nicht so genau sehen.
    Sie wollte
aber nicht weiterkommunizieren. Der Weg war kein gewöhnlicher Waldweg. Er war
betoniert und bestand aus so gutem Gemisch, daß die Oberfläche kaum bröckelte.
    -
Vielleicht fahren wir gerade auf dem Beton, den Eva glattgestrichen hat, sagte
ich.
    Die
hiesigen Bauten, also auch alle Straßenarbeiten, führte damals - im Auftrag,
versteht sich - die Siemens-Bauunion aus. Und Eva, Mutters Schwester, war eine
Zeitlang zum Baumfällen und eben für diese Wegearbeiten abkommandiert worden.
Ihre Geschichten kannte ich gut, sie war die einzige, die viel und gern
erzählte. Außerdem war Eva die einzige, die vor einigen Jahren entschädigt
worden war - nicht aus staatlichen Mitteln, sondern direkt von der Firma
Siemens. Das Westgeld war daraufhin gerecht zwischen den Frauen geteilt worden.
    Wir kamen
immer tiefer in den Wald und passierten zwei ramponierte Pfosten eines
Einfahrtstors aus gelben Backsteinen. Bald kamen wir aber nicht weiter, weil
der Weg von Eisenbahnschienen gekreuzt wurde - für das Auto lagen sie eindeutig
zu hoch.
    - LOS!
sagten die Männer auf Deutsch - das sollte sicher ein Scherz sein. Mozna,
mozna. Ich weigerte mich trotzdem.
    Wir
stiegen aus, trugen ein paar zerbrochene Äste zusammen und legten Backsteine
zwischen die Schienen.- Komme ich woanders auch wieder raus?
    - Zaden
problem, sagten sie - ein sehr beliebter Spruch in Polen.
    Kurz
danach sahen wir oberhalb der Baumkronen riesige und vollkommen intakte
Schornsteine in den Himmel ragen, sie waren mindestens dreißig Meter hoch. Sie
gehörten zu dem uns bereits angekündigten Kohlekraftwerk. Wir bogen ab. Das
Kraftwerk-Gebäude neben den Schornsteinen war aus Stahlbeton und schien
ebenfalls gut erhalten zu sein.
    -
»Wertarbeit«, sagte der jüngere Mann wieder auf Deutsch.
    Meine
Mutter blieb die ganze Zeit stumm, ich ließ sie in Ruhe. Als ich anhielt,
wollte sie im Wagen bleiben. Das Innere des Kraftwerks machte den Eindruck
einer fensterlosen Kathedrale. Etwas Licht fiel nur durch einige Kanoneneinschußlöcher
und längliche Schlitze im oberen Bereich, außerdem noch durch runde Öffnungen,
in denen früher irgendwelche Rohre gesteckt hatten. Der Innenraum war
vollkommen leer, Zwischendecken waren eingebrochen, alle Brennöfen, Turbinen,
Rohre und Förderbänder waren nach dem Krieg offenbar abtransportiert worden.
    - Die
Russen nahmen alles weg, was sie gebrauchen konnten, und was sie nicht wollten,
nahmen sich dann die

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