Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
Landstraße
führte relativ steil nach oben, dort auf der Anhöhe lag die nächste ruhige
Kreuzung - mitten im Grün. Wir sahen niemanden, den wir hätten ansprechen
können. Der hiesige Mischwald wirkte etwas lieblicher als die endlose Kiefern-
und Tannentaiga, die wir vor Krzystkowice durchquert hatten. Links von uns
schimmerten zwischen den Bäumen irgendwelche Mauern, ich fuhr also nach links.
Bei den Mauern handelte es sich dann tatsächlich um die ersten Häuser eines
Städtchens. Nach dreihundert Metern fuhren wir schon über einen viereckigen
Platz, der von niedrigen Kleinstadthäusern umgeben war.
    - Das kann
unmöglich Christianstadt sein, sagte meine Mutter. Hast du irgendein Schild
gesehen?
    - Wir sind
sowieso auf der falschen Flußseite, sagte ich. Es ist ganz bestimmt Nowogröd.
    Wir
entdeckten zum Glück einen offenen Lebensmittelladen, kauften ein und aßen auf
einer Bank etwas Brot, Käse und den undefinierbaren Inhalt einer kleinen
Büchse. Als Nachtisch gab es die berühmten polnischen »Kuhbonbons« -
milchig-weiche Karamelbonbons namens »Kröwki«. Danach fuhren wir wieder langsam
zum Fluß hinunter - auf die Bober-Brücke zu. Auf der von Leere umgebenen
Stadtkreuzung hinter dem Fluß bog ich nicht wieder dorthin ab, von wo wir
hergekommen waren, und fuhr geradeaus in Richtung Westen. Die Straße war
beidseitig bebaut, man hatte aber keinesfalls das Gefühl, sich im Zentrumeiner
Stadt zu befinden. Als wir uns einem Bahnübergang näherten, sah sich meine
Mutter mehrmals unruhig um, erkannte aber nichts. Bei dem riesigen
zugewucherten Bahngelände konnte von einem lebendigen Verkehrsknoten kaum die
Rede sein. Ein kleineres Bahngebäude am Rande schien zugerammelt zu sein, überdachte
Bahnsteige gab es nicht, niemand wartete hier oder lief mit einem Koffer herum.
Nur ein einziger Bahnsteig sah danach aus, daß er regelmäßig betreten wurde.
Wir stiegen aus. Das überdimensionierte Gelände mit den vielen Schienensträngen
wirkte im Verhältnis zur Größe der »Stadt« unanständig. Christianstadt schien
mehr eine Schienenlandschaft als eine Stadt zu sein.
    - Alles
wegen der Fabrik, die Züge fuhren überall quer durch die Wälder.
    - Wo ist
aber dein Christianstadt? Ich hatte mir unter dem Namen eine richtige Stadt
vorgestellt.
    - Wir sind
zur Arbeit immer nur durch den Wald marschiert. Den Platz im Zentrum habe ich
vielleicht nur zweimal gesehen.
    - Es gibt
hier aber gar keinen Platz, nicht einmal das. Hier ist die Stadt schon wieder
zu Ende. Wir müssen zurück.
    Wir
kehrten um, und ich stellte das Auto auf einem kahlen Gelände vor der uns
inzwischen bekannten Kreuzung ab. Ein Stück neben uns standen etwas
zurückgesetzt mehrere häßliche Neubauten. Auf der anderen Straßenseite sah ich
eine schräg verlaufende Reihe von einstöckigen alten Häusern - und beim genauen
Hinsehen machten diese tatsächlich den Eindruck, daß sie einmal einen
kleinstädtischen Marktplatz eingegrenzt haben könnten. Vor dieser Häuserreihe
standen einige Bäume mit dichten Kronen, sie gehörten zu einer vernachlässigten
Parkanlage. Und ich erkannte endlich, wo wir waren - wir standen tatsächlich
auf dem Christianstädter Marktplatz. Hinter der grünen Park-Oase, weiter in
Richtung des Flusses, entdeckte ich dienächste Häuserreihe, also vermutlich die
zweite Seite des ehemaligen Platzes. In den einigermaßen erhaltenen Häusern
dieses »Marktes« gab es kleine verschlafene Geschäfte. Auf unserer Seite der
Zufahrtsstraße war es dagegen bis zu den Neubauten kahl, die Stadtmitte war
hier vollkommen gesichtslos. Genauso hatten wir das Zentrum von Christianstadt
vor kurzem, zumal vom fahrenden Auto aus, auch wahrgenommen. Unser abgestellter
alter Octavia war auf der öden Fläche des Platzes das einzige Element, das im
Moment für etwas Abwechslung sorgte. Bäume gab es hier keine. Hinter einem
Busch in dem gegenüberliegenden Parkfleckchen tat sich etwas. Offenbar waren
wir von dort schon die ganze Zeit beobachtet worden, ich sah mehrere
aufmerksame Augenpaare.
    - Hier, wo
wir stehen, stand eine Kirche, sagte meine Mutter. Glaube ich jedenfalls. Wir
werden hier bestimmt überhaupt nichts finden, die Fabrik auch nicht.
    - Ein
Schild »Zur Gedenkstätte« hätten wir bestimmt nicht übersehen, oder? fragte
ich. Es müßte »pomnik« oder »miejsce pamieci« heißen, etwas mit »pamiec«.
    Wir hatten
keine Wahl, mußten die Straßenseite wechseln und auf unsere Beobachter zugehen.
Ich fühlte mich für die

Weitere Kostenlose Bücher