Faktor, Jan
ihm
ausnahmsweise Besucher auftauchten, zog er schnell eine Schnapsflasche aus
einem der Kleiderschränke heraus, und bald danach - das war die Regel - ließ er
seine Hose fallen und zwang den oder die männlichen Besucher, das gleiche zu
tun. Der Schönheitswettbewerb um die schönsten Männerbeine konnte beginnen.
Mein Vater war dabei in seinem Element und kannte sich nicht nur in den
strengen Beurteilungskriterien gut aus, als Siegertyp beherrschte er auch alle
psychologischen Tricks, die in jeder modernen Kampfdisziplin eine große Rolle
spielen. Er nutzte beispielsweise geschickt die Verlegenheit seiner nicht
ausreichend angetrunkenen Gegner, und wenn es ging, flirtete er nebenbei mit
ihren Frauen. Beim eigentlichen Wettbewerb streckte mein Papa abwechselnd und
ausgesprochen graziös seine Beine in die Luft, drückte zwischendurch die
Fußspitzen gegen ein Sofa. Besonders in diesen Momenten spannte er gekonnt
seine Muskeln an und brachte sie da und dort, besonders aber an den Waden, in
eine wellenartige Bewegung. Er gewann immer. Daß sein Bauch sich nicht
waschbrettartig wellte, zählte nicht. Alle lachten die ganze Zeit, bis ihre
Wangen steif wurden und eine häßliche Dauerspannung eingraviert bekamen. Ich
lachte auch, weil man bei Vaters Auftritten nichts anderes machen konnte als
lachen.
Wenn ich
einen ähnlichen Wettbewerb hätte ausrichten dürfen, hätte ich - trotz meiner
Ängste vor rachgierigen Killerbäuchen - unbedingt die männlichen Bauchwölbungen
bewerten wollen. In der Stadt grassierte galoppierende Bauchverfettung, und ich
hätte auf diese Seuche tatsächlich gern aufmerksam gemacht. Ich sah, daß sich
viele Männer beim Laufen weit nach hinten neigten, um damit der gefährlichen
Verschiebung ihres Schwerpunktes entgegenzuwirken. Sie waren, da ihnen ihre
Bäuche den Blick versperrten, nicht in der Lage, die vielen Unebenheiten auf
den Bürgersteigen richtig einzuschätzen, sie übersahen oft kleine Kinder oder
kleine bis mittelgroße Hunde. Zur Freundlichkeit auf den Straßen trugen sie
daher wenig bei. Bei manchen von der Quellhefe Befallenen kam eine moosige
Fettschicht sogar unter ihrer Stirnhaut zum Vorschein, ihre untere
Gesichtshälfte war sowieso schon aufgequollen - und in ihren Augenhöhlen
lagerte ebenfalls viel Abfall. Und auch die jüngeren Männer zeigten schon, in
welche Richtung sie weiterwachsen würden - nämlich nach vorn. Am liebsten hätte
ich diese jungbäuchigen und noch zu rettenden Anfänger vor Fettbefall und
Muskelabschlaffung gewarnt und ihnen eingehämmert:
- Ihr
wollt doch euer Leben lang in die Frauen tauchen, oder etwa nicht? Denkt daran!
Ihr müßt sogar tief genug in sie hineingelangen können, wenn euer Leben einen
Sinn und eine Art Fortsetzung haben soll!
Und wenn ich
das folgende, von der Brauindustrie gut gehütete Geheimnis schon damals gekannt
hätte, hätte ich noch hinzugefügt:
-
Vorsicht, Männer! Im Bier stecken massenhaft weibliche Hormone - nicht einfach
nur Gerste, Hopfen und Wasser! Vom Bier bekommt ihr nicht nur schwere Bäuche,
sondern auch üppige Brüste!
Meine
Ernährungsängste und Verformungsphantasien brachten mich im zarten Alter dazu,
pausenlos auf meinen Bauch zu achten, und schon zu Urzeiten ängstigte ich mich
um meine Figur. Wenn ich etwas mehr gegessen hatte und spürte, wie sich meine
Bauchdecke wölbte, zog ich sie mit Gewalt sofort wieder ein. Ich wollte nicht
zulassen, daß meine Muskulatur nachgab, ich durfte nicht wie die vielen
Nilpferde um mich herum lockerlassen und vor der Ausdehnungs- und Schwerkraft
kapitulieren.
An meinem
Vater war es trotzdem nicht sein Bauch, der mir das schlimmste Kopfzerbrechen
bereitete. Es war etwas anderes, und es war trotz meiner starken Fokussierung
auf das Verfettungsthema schwer zu greifen oder gar im einzelnen zu benennen.
Bekanntlich stieß ich beim Nachdenken über viel einfachere Probleme schnell an
meine Leistungsgrenzen. Das Geheimnis meines Vaters umhüllte sein Wesen wie
eine verschmutzte und sowieso nicht transparente Fruchtblase. Diese Blase und
ihr Inhalt befanden sich außerdem in einem wilden Verwandlungsund
Diffusionsprozeß. Alles faulte hier bei voller Frische, bestand größtenteils
aus Abscheidungsderivaten und Fäule-Isotopen, trotzdem nahmen alle diese Stoffe
an der lebenserhaltenden Zellteilung offenbar noch teil. Wobei das behütete
Früchtchen - mein Vater also - sich nur als ein kleiner Bauteil dieser
koagulationsgeilen Verklumpung im instabilen Aggregatzustand
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