Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
etwas leisten, bevor sie in den Himmel kommt. Von
nichts kommt nichts. Skopka war technisch viel begabter als ich, im Vergleich
zu mir war er aber ein wirklich miserabler Esser. Darin stimmte ich mit seiner
Mutter überein. Er bekam die Reste seines Frühstücks manchmal mit auf den Weg,
und wenn er aus der Sichtweite seiner hinter den Gardinen vermuteten Mama war,
schmiß er alles in die Büsche.
    Daß bei
uns zu Hause alles Männliche kompromißlos ausgelagert werden mußte, schien mir
richtig und konsequent zu sein. Männer hätten unsere Harmonie nur gestört. Sie
hätten unser Zusammenleben durcheinandergebracht, hätten sicher auch die
fundamentalsten Regeln gebrochen oder sich sogar angemaßt, neue Regeln
einzuführen. Die Liebhaber meiner Mutter waren zwar nie ausgelagert worden, sie
wurden aber auch niemals wirklich eingelagert. Dagegen machte sich Onkel ONKEL
als ein Repräsentant aller Ausgelagerten sehr gut, verkörperte diese Rolle
geistig wie auch durch seine Verortung ganz ausgezeichnet. Hinter seiner
Schrankmauer steckte er im Grunde in einer Art Lagerraum. Seine Leidenschaft,
Materialien für seine zukünftigen handwerklichen Aktivitäten zu sammeln, wurde
ihm dabei leider zum Verhängnis. Als unser Keller bis zur Decke vollgestopft
war, mußte er viele unersetzbare Fundstücke, alle den Schrottsammlungen
entrissenen Ersatzteile und alle verwendungswürdigen Materialreste direkt in
seinem Zimmer unterbringen. Dadurch wurden diese Dinge so etwas wie seine
Mitgefangenen. Da Onkel diesen Krempel in stabile Kartons stopfte, konnte er
sie gut stapeln - und mit ihrer Hilfe seine Schrankbarriere bis zur Decke
aufstocken. Irgendwann war aber das Höhenlimit erreicht. Später engten die
Kartons auch seinen Innenbereich ein. Onkels Schubfächer waren schon immer
vollgemüllt, quollen oft über oder ließen sich überhaupt nicht mehr öffnen.
Viele der unentbehrlichen Dinge waren wegen der nicht vorhandenen Systematik
und fehlenden Kartonbeschriftung sowieso schwer zu finden, und der arme Onkel
hauste auf immer sinnloser schwindendem Raum. Sein Lebensbereich glich
zunehmend einem Recyclinghof, um nicht zu sagen einem Material-KZ. Die Rettung
brachte etwas später sein geräumiger Bauernhof. Um ihn - einschließlich aller
Nebengebäude - ebenfalls zuzumüllen, brauchte er dann erstaunlich wenig Zeit,
höchstens zwei Jahre.
    Als eine
Art stabiles männliches Vorbild blieb mir praktisch nur mein extramuraler
Vater. In ferner Vergangenheit war er für mich eine Ikone gewesen, und egal,
wie stark angeschlagen er von Anfang an war, eine Zeitlang war er eine. Dabei
waren seine Qualen noch undurchschaubarer als die des Onkels, qualitativ waren
sie sowieso völlig anderer Natur. Und obwohl mir das Wesen meines Vaters etwas
näher war, war er als eine Leitfigur leider noch weniger brauchbar als mein Onkel.
Und das will schon etwas heißen.
    Mein Vater
mußte nicht erst in eine quälende Enge getrieben werden, er steckte in seiner
stinkigen Sackgasse sowieso seit langem fest. Dort arbeitete er konsequent an
seinem Ende, zerfiel langsam vor aller Augen, bis er dann reif war und starb -
mit nur fünfzig Jahren auf Bauch und Buckel. Er war ein krankhafter und
unverbesserlicher Lügner, ein Wrack voller destruktiver Ironie und beim
Bezahlen an den Tankstellen zitterten ihm immer die Hände. Wenn er Auto fuhr,
trank er nämlich nicht und mußte seinen Tremor in Kauf nehmen. Wegen dieses
Zitterns dachte ich als Kind lange, daß es ihm - ausgerechnet wenn es um Benzin
ging - um die grünen Hundertkronenscheine leid tat. Ganz logisch war das
natürlich nicht, da er sehr gut verdiente. Er war bei der »Geheimpolizei«, wie
es unter uns Jungs hieß, wobei alle, die solche Väter hatten, deren Beruf
offiziell als »Staatsangestellter« anzugeben hatten. In Gaststätten zitterte
mein Vater nicht, beim Einkaufen auch nicht. Wenn wir in der Stadt unterwegs
waren, verschwand er regelmäßig in dunklen Eckkneipen und kam im Handumdrehen
lächelnd wieder heraus, als hätte er dort eine partielle Absolution erhalten.
In seinen Augen dümpelte das schlechte Gewissen.
    Sein
mitteldicker Bauch war ein nicht zu leugnender Schandfleck an ihm, insgesamt
fand ich ihn körperlich lange Zeit eher anziehend. Seine Schultern wirkten
kraftvoll, die Polsterung seines voluminösen Brustkorbs - vorn wie auf dem
behaarten Rücken - konnte man bei gutem Willen für Muskulatur halten. Seine
Beine waren schlank und tadellos. Und das wußte er auch. Wenn bei

Weitere Kostenlose Bücher