Faktor, Jan
vibrierenden Ekel in den Äther zu schicken - amplituden- oder
frequenzmoduliert, wie auch immer.
Möglicherweise
waren aber die Geheimnisse, über die ich jetzt spreche, nicht wirklich
unaussprechbar. Wie schon angedeutet: Vielleicht waren diese Dinge allen
Beteiligten einfach nur peinlich, und peinlich wäre ihnen sicher auch gewesen,
wenn sie hätten zugeben müssen, als Erwachsene nicht in der Lage zu sein, sich
aus eigener Kraft von ihnen zu befreien. Vielleicht war die schmierige Paste,
die sich in Vaters Wohnung überall aufhielt, eben nur diese zum Material
gewordene Peinlichkeit. Man muß außerdem bedenken, daß verzweifelten und
seelenabwesenden Menschen pausenlos viele Unachtsamkeiten unterlaufen. Rein
sachlich gesehen bestand der schmierige Klebefilm eventuell aus
adhäsionsstarken Dreckpartikeln und nach und nach koagulierten Dispersionen,
die sich mit den Jahren einfach angesammelt hatten und schließlich - ähnlich
wie oxidiertes Fett - verharzten. Im Hinblick auf ein derartig dümmliches und
daher schutzwürdig-schambehaftetes Unvermögen - ein Unvermögen, auch über die
banalsten Dinge offen zu sprechen, ein Unvermögen, sich klebefrei zu halten und
aufeinander zu achten - war es allerdings besser, denke ich heute, daß auf
dieses Unvermögen ein Nachrichten-Embargo gelegt wurde.
Zusätzlich
zu der üblen Geruchstragik war Vaters letzte Wohnung, die er als Spitzendiener
des Staates in einer modernen, frisch hochgezogenen Neubausiedlung zugeteilt
bekam, im Winter immer überheizt. Und in dieser Hitze dampfte alles doppelt
intensiv. Der fensterlose und mit einem nur angedachten Dunstabzug versehene
Küchenkern steckte praktisch in der Mitte dieses luxuriösen Vegetierkäfigs. Und
obwohl sich der Küchendunst dann in allen übrigen Räumen gut ausbreiten konnte,
fühlte sich die dortige Luft trotzdem immer trocken an. In Vaters Wohnung
erlebte ich meine Schleimhäute als evolutionär nur mangelhaft ausgereift, meine
aufgequollenen Kopfinnenräume befanden sich beim Vater dauerhaft im Ausnahmezustand.
Hinzu kam noch der Beitrag meiner Großmutter Ludmila, die - als sie senil
geworden war - in die Familie aufgenommen wurde; und diese wusch sich kaum.
Außerdem war noch mein scheißender und schreiender Halbbruder da, und außerdem
die Angorakatze, die in der winterlichen Fernhitze besonders gelitten und
geruchgedampft haben muß. Die vielen Pflanzen und ihre Humusböden atmeten
ebenfalls pausenlos, und in den wenig gelüfteten Matratzen brüteten und
vermehrten sich garantiert gewaltige Milbenstämme. Apropos Pflanzen: Einer
Palme mit vielen vitalen Luftwurzeln ging es in Vaters Wohnung so prächtig, daß
sie bald die ganze Fernseh-Ecke in Beschlag nahm und den Fernseher bedrohte.
Dieses tropische Ungeheuer profitierte anscheinend - als einziges dort
gefangengehaltenes Geschöpf - von den vielen Dünsten, Dämpfen und dem
undurchdringlichen Gefühlsdschungel der Wohnung, mästete sich pausenlos an dem
Harz der Lüfte und der Ranzigkeit ihrer Niederschläge. Gerüche der Sexualität
kannte diese Wohnung zum Glück nicht. Sonst wäre sie eines Tages vielleicht
zerlaufen wie ein fünfzigjähriger Camembert.
Der
Unterschied zu meinem Zuhause war himmelschreiend. Offiziell war unsere gut
gelüftete Wohnung zwar so gut wie eine reine Frauenunterkunft, Sexualität gab
es dort trotzdem. Sich in meine Mutter zu verlieben war nicht schwer. Alle
männlichen Besucher wurden mit so viel Charme und Liebreiz behandelt, daß es
bei uns vor männlicher Sehnsucht nach MEHR, also nach einer egal wie
befriedigenden Steigerung, aus allen Ritzen nur so quoll. Und schon kurz
nachdem der aktuelle Liebhaber meiner Mutter abends angekommen war, machten die
beiden auf Mutters dünnbeinigem Sofa Geräusche. Ihre Männer mußten nämlich bald
wieder nach Hause. Dort warteten ihre Ehefrauen mit dem inzwischen kalt
gewordenen Abendbrot auf sie.
Bei meinem
dicken, im Wrasenbad weichgegarten Vater gab es so etwas nicht. Seine Wohnung
war männlich, asexuell, bedürfnislos - hier herrschten Härte und gewisse
Männerprinzipien. Er kochte aber auch gern - und am Wochenende sogar exzessiv.
Ein halbes Jahr lang dann immer die gleiche Spezialität. Mein Vater hatte den
Dienstgrad eines Majors, und in seinem Schrank stand ein Jagdgewehr. Dieses
wurde ab und an auch benutzt, sogar innerhalb der Wohnung. Er selbst konnte aber
auch mit bloßen Händen töten, wenn er wollte - und sei es mit einer
zusammengefalteten Zeitung, log er mir gern
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