Faktor, Jan
nur angefangenen Werke kannte niemand. Und
weil über seine eigentliche Arbeit nicht gesprochen werden durfte, konnte auch
die Lächerlichkeit seines bürofaulen Abwehrkampfes niemals zutage kommen.
Dies war
gleichzeitig aber auch sein Pech. Ausgerechnet dieser hundertfach frustrierte
Mensch durfte das wenige, womit er sich hätte vielleicht doch brüsten können,
nicht bekanntgeben. Heute kann ich mir etwas besser vorstellen, welche Qualen
der Ärmste erleiden mußte, wenn er auf immer und ewig dazu verdonnert war, über
seine Berufserlebnisse und -heldentaten außerhalb seiner Zirkel zu schweigen.
Der kleine Dickmoppel brauchte aber unbedingt etwas, womit er sich größer
machen konnte. Für den Verkehr mit der Außenwelt blieb ihm daher nichts anderes
übrig, als mit frei erfundenen Phantasiegeschichten anzugeben. Da ihm dabei
alle künstlerischen Freiheitstüren und -tore offenstanden, enthielten seine
Geschichten höchstens nur harmlose Geheimnissplitter, sicher keine
schutzwürdigen Geheimnisse.
Bei der
Verschleierung der ministerialen Interna, aber auch bei der überaus
qualifizierten Arbeit selbst half ihm sicher, daß er andere Menschen immer
schon gern getäuscht hatte. Er habe auch als junger Mann dauernd gesponnen,
erzählte mir meine Mutter mit leuchtenden Augen - sie bewunderte ihn für seine
erzählerische Begabung immer noch. Trotzdem warnte sie mich vor seinen bunten
Geschichten und verriet mir, daß mein Vater schon aus Prinzip lüge, das Lügen
als Sport betreibe und Dinge auch vollkommen zweckfrei und grundlos erfinde.
Bald konnte ich es mit Hilfe unseres Telefonbuchs nachprüfen: Mein Vater dachte
sich tatsächlich Adressen und lange Telefonnummern aus. Sicher nur deswegen, um
sich für sein exzellentes Gedächtnis loben zu lassen. Bei Spaziergängen
erklärte er im guten Deutsch irgendwelchen Touristen den Weg, gab mir gegenüber
dann aber zu, die Leute ins Ungewisse geschickt zu haben. Bekannten erzählte er
von Urlaubserlebnissen, die - wie ich wußte - so nie stattgefunden hatten.
Einmal
nahm mich mein Vater sogar auf eine Spionjagd mit. Wir brachen etwas
unvermittelt ohne besondere logistische Vorbereitungen auf, schien mir. Und wir
fuhren ausgerechnet in ein Waldstück in der Nähe, das ich von unseren regelmäßigen
Wochenendausflügen gut kannte. Es war schon dunkel, im Fernsehen liefen die
besten Sonnabendsendungen. Der Spion kam tatsächlich vorbei und wurde mit
vorgehaltener Waffe gezwungen, sich auf den dreckigen Boden zu legen.
Mein Vater
fesselte ihn gekonnt, der Mann benahm sich dabei zahm wie ein Kind.
Anschließend bekam ich die entsicherte Waffe in die Hand gedrückt, und mein
Vater ging, um Verstärkung zu holen. Das Gerede des Mannes, er wäre in der
Lage, mit seinem gepanzerten Ferrari die Grenzanlagen zu durchbrechen und mit
mir in den Westen zu fliehen, ließ mich kalt. Und ich hatte tatsächlich keinen
Grund, mich auf ein abenteuerliches Leben mit irgendwelchen fremden Männern
einzulassen. Warum sollte ich? Warum sollte ich meine duftende Frauengemeinschaft
verlassen? Die Aussicht, im kapitalistischen Ausland ein adäquates
Frauenparadies zu finden, war gleich null.
Mein Vater
kam bald ohne eine schwerbewaffnete Kampfeinheit zurück und war stolz auf mich.
Er erklärte die Aktion für beendet und konnte nicht aufhören, mich für meinen
Mut, meine Umsicht und Prinzipientreue zu loben. Er und sein längst wieder
entfesselter Freund meinten, ich wäre für den Beruf eines Spionenjägers bestens
geeignet. Als Ergänzung zu dieser praktischen Übung erläuterte mir mein Vater
unterwegs - das tat er mindestens einmal im Jahr - den Unterschied zwischen
Taktik und Strategie im Kampf der politischen Systeme. Diese Theorie gehörte zu
seinem Lieblings-Fragenkomplex. Nebenbei versuchte er mir oft noch eine andere
Wahrheit einzuhämmern: »ALLE ÄRZTE SIND DUMM. Egal, wieviel sie beim Studium
gebüffelt haben, sie sind dumm und bleiben dumm.«
Seine
Lügereien nahmen kein Ende. Ich versuchte, wachsam zu sein, glaubte meinem
Vater manchmal aber doch. Nachdem das erste sowjetische Passagierflugzeug mit
Düsenantrieb (die Tu 144) das erste
Mal in Prag gelandet war, war mein Vater bei den nachfolgenden gefährlichen
Testflügen angeblich mit an Bord. Als eine Frühjahrsflut eine neuerbaute
Moldau-Talsperre bedrohte - Prag wäre nach einem Durchbruch weggespült worden
-, saß er nicht irgendwo in Sicherheit auf der Lauer, nein! Er saß - erzählte
er mir jedenfalls - tapfer unten
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